Arbeitsblatt: Joachim Ringelnatz

Material-Details

10 Gedichte und seine Biographie
Deutsch
Leseförderung / Literatur
klassenübergreifend
11 Seiten

Statistik

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14.10.2015

Autor/in

Manuela Reutegger
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Segelschiffe Sie haben das mächtige Meer unterm Bauch Und über sich Wolken und Sterne. Sie lassen sich fahren vom himmlischen Hauch mit Herrenblick in die Ferne. Sie schaukeln kokett in des Schicksals Hand Wie trunkene Schmetterlinge. Aber sie tragen von Land zu Land Fürsorglich wertvolle Dinge. Wie das im Wind liegt und sich wiegt, Tauwebüberspannt durch die Wogen, Da ist eine Kunst, die friedlich siegt, Und ihr Fleiß ist nicht verlogen. Es rauscht wie Freiheit. Es riecht wie Welt. – Natur gewordene Planken Sind Segelschiffe. – Ihr Anblick erhellt Und weitet unsre Gedanken. Im Park Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum still und verklärt wie im Traum. Das war des Nachts elf Uhr zwei. Und dann kam ich um vier Morgens wieder vorbei. Und da träumte noch immer das Tier. Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum – gegen den Wind an den Baum, und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips. Und da war es aus Gips. Bist du schon auf der Sonne gewesen? Bist du schon auf der Sonne gewesen? Nein? – Dann brich dir aus einem Besen Ein kleines Stück Spazierstock heraus Und schleiche dich heimlich aus dem Haus Und wandere langsam in aller Ruh Immer direkt auf die Sonne zu. So lange, bis es ganz dunkel geworden. Dann öffne leise dein Taschenmesser, Damit dich keine Mörder ermorden. Und wenn du die Sonne nicht mehr erreichst, Dann ist es fürs erstemal schon besser, Daß du dich wieder nach Hause schleichst. Ohrwurm und Taube Der Ohrwurm mochte die Taube nicht leiden. Sie haßte den Ohrwurm ebenso. Da trafen sich eines Tages die beiden in einer Straßenbahn irgendwo. Sie schüttelten sich erfreut die Hände und lächelten liebenswürdig dabei und sagten einander ganze Bände von übertriebener Schmeichelei. Doch beide wünschten sie sich im stillen, der andre möge zum Teufel gehn, und da es geschah nach ihrem Willen, so gab es beim Teufel ein Wiedersehn. Schenken Schenke groß oder klein, Aber immer gediegen. Wenn die Bedachten Die Gaben wiegen, Sei dein Gewissen rein. Schenke herzlich und frei. Schenke dabei Was in dir wohnt An Meinung, Geschmack und Humor, sodaß die eigene Freude zuvor Dich reichlich belohnt. Schenke mit Geist ohne List. Sei eingedenk, Daß dein Geschenk Du selber bist. Das Schlüsselloch Das Schlüsselloch, das im Haupttor saß, Erlaubte sich nachts einen Spaß. Es nahten Studenten Mit Schlüsseln in Händen. Da dachte das listige Schlüsselloch: Ich will mich verstecken, Um sie zu necken! Worauf es sich wirklich seitwärts verkroch. Alsbald nun tasteten die Studenten Suchend, Fluchend; Mit Händen An Wänden. Und weil sie nichts fanden, zogen sie weiter. Schlüsselloch lachte heiter. (Die Herren erreichten ihr Zimmer nimmer. Eigentlich war die Sache noch schlimmer. Ich selbst war nämlich bei den Studenten – Doch lassen wir es dabei bewenden.) Ein Pflasterstein, der war einmal Ein Pflasterstein, der war einmal Und wurde viel beschritten. Er schrie: „Ich bin ein Mineral Und muss mir ein für allemal Dergleichen streng verbitten! Jedoch den Menschen fiels nicht ein, Mit ihm sich zu befassen, Denn Pflasterstein bleibt Pflasterstein Und muss sich treten lassen. Die neuen Fernen In der Stratosphäre, Links vom Eingang, führt ein Gang (Wenn er nicht verschüttet wäre) Sieben Kilometer lang Bis ins Ungefähre. Dort erkennt man weit und breit Nichts. Denn dort herrscht Dunkelheit. Wenn man da die Augen schließt Und sich langsam selbst erschießt, Dann erinnert man sich gern An den deutschen Abendstern. Die Schnupftabaksdose Es war eine Schnupftabaksdose Die hatte Friedrich der Große Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz. Und darauf war sie natürlich stolz. Da kam ein Holzwurm gekrochen. Der hatte Nußbaum gerochen Die Dose erzählte ihm lang und breit. Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit. Sie nannte den alten Fritz generös. Da aber wurde der Holzwurm nervös Und sagte, indem er zu bohren begann „Was geht mich Friedrich der Große an! Übergewicht Es stand nach einem Schiffsuntergange Eine Briefwaage auf dem Meeresgrund. Ein Walfisch betrachtete sie bange, Beroch sie dann lange, Hielt sie für ungesund, Ließ alle Achtung und Luft aus dem Leibe, Senkte sich auf die Wiegescheibe Und sah – nach unten schielend – verwundert: Die Waage zeigte über Hundert. Arm Kräutchen Ein Sauerampfer auf dem Damm stand zwischen Bahngeleisen, machte vor jedem D-Zug stramm, sah viele Menschen reisen. Und stand verstaubt und schluckte Qualm, schwindsüchtig und verloren, ein armes Kraut, ein schwacher Halm, mit Augen, Herz und Ohren. Sah Züge schwinden, Züge nahen. Der arme Sauerampfer sah Eisenbahn um Eisenbahn, sah niemals einen Dampfer. Biografie Joachim Ringelnatz (eigentlich Hans Bötticher), 1883 – 1934 Joachim Ringelnatz kam am 7. August 1883 als Hans Bötticher in Wurzen zur Welt. Kindheit und Familie Der stets zu Streichen aufgelegte Junge wuchs in einem toleranten Elternhaus auf. Der Vater, Georg Bötticher, verfasste humoristische Gedichte und Erzählungen. Der Vater war stolz auf die dichterischen Fähigkeiten seines Sohnes. Der kleine Bötticher trug auf Familienfeiern originelle kleine Gedichte und Geschichten vor. 1905 schloss der Bötticher sein großes Atelier in der Fregestraße und arbeitete als freier Schriftsteller. Die Schulzeit ist Ringelnatz stets in unangenehmer Erinnerung geblieben. Das aufmüpfige Kind litt unter den Strafen der Lehrer. 1901 ging der lang gehegte Traum von der Seefahrt in Erfüllung. Der Vater hatte ihm eine Lehrstelle auf dem Segelschiff „Elli verschafft. Als Schiffsjunge bereiste er Venedig, Konstantinopel, Liverpool, Rio de Janeiro und viele andere Orte. Doch das Abenteuerleben und die Freiheit des Matrosen wurden von den miserablen Arbeitsbedingungen auf See überschattet. Aufgrund seiner Sehschwäche wechselte der junge Bötticher 1903 in den einjährigfreiwilligen Militärdienst auf den Kreuzer „S.M.S. Nymphe. Nach Entlassung als Bootsmaat begann er eine Kaufmannslehre in Hamburg. In dieser Zeit begann der Dichter zu schreiben und zu malen. Doch das Angestelltenleben wurde ihm zu langweilig; er kündigte und begab sich auf Reisen nach England. Der fahrende Musikant endete schließlich als Obdachloser im Gefängnis von Antwerpen. 1910/1911 folgten verschiedene Reisen und private Weiterbildungen. Als Privatbibliothekar bei Heinrich Graf von York und bei Baron Börries von Münchhausen verdiente sich Hans Bötticher in den folgenden Jahren seinen Lebensunterhalt. Die 1913 erschienene Novellensammlung „Ein jeder lebts brachte erste schriftstellerische Anerkennung. Kriegsmarine und Terrarium Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges meldete sich der 31jährige Bötticher als Freiwilliger zur Kriegsmarine. Anfänglich erfüllt von der Verherrlichung der kaiserlichen Marine, erlebte er den schikanierenden Alltag auf einem Minensuchboot. Den Querulant Bötticher schob die Marine schließlich auf den Außenposten einer Luftabwehr-Maschinengewehrabteilung bei Cuxhaven ab. Sein dort angelegtes Terrarium voller Blindschleichen, Fröschen, Eidechsen und Ringelnattern festigte seinen Ruf als Sonderling. Nach dem Krieg erlebte der 35jährige ein schweres Nachkriegsjahr mit Hunger und anderen Entbehrungen. Ende 1919 wurde aus Hans Bötticher schließlich Joachim Ringelnatz. Unter diesem Pseudonym veröffentlichte er künftig seine Werke als Dichter und Maler. Ob das Pseudonym „Ringelnatz nun an das Seepferdchen, seemännisch „Ringelnass, erinnern sollte oder als poetisches Gedenken an seinen „Schlangenzoo gedacht war, ließ der Dichter im Unklaren. An seinem 37. Geburtstag 1920 heiratet er mittellos seine 15 Jahre jüngere Frau Leonharda Pieper. Mit dem Vortragen seiner Gedichte verdiente der Autor als „reisender Artist in den 20er Jahren seinen Lebensunterhalt. Er trat in allen großen Städten Deutschlands, in Prag, in Zürich und Wien als Kabarettist auf. Joachim Ringelnatz schrieb zwischen 1910 und 1934 fast 20 Bücher: Gedichtbände, zwei Autobiografien, Romane, Bühnenstücke und nicht zu vergessen seine Kinderbücher. Ringelnatz als Maler In den 20er Jahren schuf der Künstler Ringelnatz neben seinem literarischen Werk auch eine größere Anzahl von Bildern. Viele seiner Bilder spiegeln die Schwere seiner Gedanken wider. Joachim Ringelnatz wurde oft verkannt als komischer Kauz und Dichter heiter skurriler Verse. Hinter dem markanten Gesicht, das „zur Karikatur reizte, stand ein ernsthafter Künstler mit einer Doppelbegabung. In Berlin führte er ein arbeitsintensives Leben als Schriftsteller, Maler und Vortragskünstler. Von den Nazis verfolgt Mit Machtantritt der Nationalsozialisten wurden seine Bücher auf den Index gesetzt; Ringelnatz erhielt Bühnenverbot. Sein letzter öffentlicher Auftritt war anlässlich seines 50. Geburtstages bei der Feier im Hotel Kaiserhof. Da war er schon an einer lang verschleppten Tuberkulose erkrankt. 1934 wenden sich seine Freunde (Asta Nielsen, Paul Wegener, Ernst Rowohlt, Renee Sintensis u.a.) mit einem Spendenaufruf an die Öffentlichkeit, um ihm einen Krankenhausaufenthalt zu ermöglichen. Im Oktober 1934, unheilbar krank aus der Lungenheilstätte entlassen, stirbt Joachim Ringelnatz am 17. November in seiner Berliner Wohnung.