Arbeitsblatt: Myelin
Material-Details
Lehrbuchkapitel
Formatives Assessment inkl. Lösungen
Praktiumsvorschlag
Prüfung inkl. Lösungen
Biologie
Neurobiologie
12. Schuljahr
46 Seiten
Statistik
152872
1535
5
28.10.2015
Autor/in
Dani Gerber
Land: Schweiz
Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
Seminararbeit Fachwissenschaftliche Vertiefung Myelin die Isolation der Natur Daniel Gerber, MSc Fachliche Betreuung: Gianluca Figlia, MD Verantwortung Lehrveranstaltung: Prof. Ernst Hafen Beurteilung didaktischer Kriterien: Dr. Jacqueline Egli Lehrbuchkapitel Inhaltsverzeichnis 1 Lehrbuchkapitel . 2 1.1 Vorwort zum Lehrbuchkapitel . 2 1.2 Empfehlungen für den Biologieunterricht 2 1.2.1 Erforderliches Vorwissen . 2 1.2.2 Dispositionsziele 3 1.3 1.3.1 Formatives Assessment – Musterlösungen. 5 1.3.2 Formatives Assessment – Lösungsschablone 6 1.4 Das Nervensystem . 7 1.5 Das Aktionspotential und die Funktion von Myelin 8 1.6 Myelin 11 1.6.1 Evolution des Myelins 13 1.6.2 Entstehung des Myelins 16 1.7 2 Multiple Sklerose . 18 1.7.2 Charcot-Marie-Tooth Neuropathie . 22 Didaktische Umsetzung . 24 2.1 Reflexion über grundlegende Misskonzepte . 24 2.2 Vorschläge für ein Praktikum 25 2.2.1 Vorwort zum Praktikum 25 2.2.2 Mikroskopie von Semithin-Sections des Ischiasnerven 25 2.2.3 Sektion eines Ischiasnerven 27 2.2.4 Praktische Aufgaben – Vorwort für Lehrperson 28 2.2.5 Repetition der Mikroskopie . 29 2.2.6 Arbeitsblatt zum Myelin-Praktikum 31 2.2.7 Musterlösung: Arbeitsblatt zum Myelin-Praktikum 34 Bezug zu den HSGYM-Empfehlungen 37 2.3.1 Bezug zur Evolutionstheorie 37 2.3.2 Stärkung der Organismischen Biologie und der Artenkenntnis 37 2.3.3 Verknüpfung mit anderen Disziplinen . 37 2.4 Prüfung 38 2.5 Prüfung Musterlösung . 40 Feedback 42 3.1 4 Myelin und Erkrankungen . 18 1.7.1 2.3 3 Formatives Assessment . 4 Feedback durch eine Mitstudierende inkl. Stellungnahme 42 Literaturverzeichnis . 45 1 Lehrbuchkapitel 1 Lehrbuchkapitel 1.1 Vorwort zum Lehrbuchkapitel Um das Thema Myelin einführen zu können, sollte ein grundlegendes Wissen über das Nervensystem präsent sein. Deswegen beginnt das Lehrbuchkapitel mit zwei Themenblöcken, welche als Repetition gedacht sind, um dieses Wissen aufzufrischen (1.4 Das Nervensystem 1.5 Das Aktionspotential und die Funktion von Myelin). 1.2 Empfehlungen für den Biologieunterricht Die folgenden Empfehlungen sind gemäss des Lehrplans der Kantonsschule Zürich Nord (KZN). Das Thema Myelin kann in der 6. Klasse im Ergänzungsfach behandelt werden. „Die Lernenden verstehen wichtige Aspekte des Baus und der Funktion des Nervensystems. [Leitidee aus dem Lehrplan Biologie, KZN] Die folgende Arbeit befasst sich sowohl mit dem Bau des Myelins, wie auch mit dessen Funktion. Ebenfalls werden die wichtigsten Krankheiten im Zusammenhang mit Myelin besprochen, welche nicht nur im Biologieunterricht, sondern auch in den Medien oder gar in der näheren Verwandtschaft der Schülerinnen und Schüler (SuS) von Relevanz sind. 1.2.1 Erforderliches Vorwissen Die Wichtigste Voraussetzung ist eine solide Basis in Zellbiologie. Die SuS müssen den Aufbau von Zellen kennen um sich überhaupt mit dem Thema Myelin befassen zu können. Ebenfalls essentiell ist ein grundlegendes Wissen über den Aufbau des Nervensystems, welches in den ersten zwei Kapiteln des Lehrbuchs aufgefrischt wird. Das Lehrbuchkapitel ist auf den Lehrplan der KZN ausgelegt, gemäss welchem ebenfalls wichtige Konzepte wie Evolution, Immunbiologie und Embryologie bereits behandelt wurden. Im Folgenden wird eine Aufzählung der wichtigsten Voraussetzungen und deren Relevanz für das Lehrbuchkapitel gegeben: Embryologie (3. Klasse): für das Thema 1.6.2 „Entstehung des Myelins (Neurulation) Immunbiologie (3. Klasse): essentiell für das Verständnis der Krankheiten Grundlagen Neurobiologie (4. Klasse) Mikroskopie (4. Klasse): für den praktischen Teil Zellbiologie (4. Klasse): Aufbau von Zellen Evolution (5. Klasse): für das Thema 1.6.1 „Evolution des Myelins (u.a. konvergente Evolution) 2 Lehrbuchkapitel Um sicherzustellen, dass das benötigte Vorwissen vorhanden ist, wurde dem Lehrbuchkapitel ein Formatives Assessment (FA) vorausgestellt. Dieses FA orientiert sich am Lehrplan der KZN, gemäss welchem die vorkommenden Themen bereits behandelt worden sein sollten. Das FA deckt bewusst nur einen kleinen Teil der Neurobiologie ab, da diese in den ersten zwei Kapiteln des Lehrbuches repetiert wird. Der Fokus liegt auf der Evolution, der Zellbiologie und der Entwicklungsbiologie, da diese Themen im Lehrbuchkapitel nicht mehr von Grund auf eingeführt werden. 1.2.2 Dispositionsziele Die Schülerinnen und Schüler verstehen, warum Gliazellen für die Nerven wichtig sind. Sie wissen wie ein Aktionspotential zu Stande kommt und wie die Schwann-Zellen und Oligodendrozyten zu einer saltatorischen Nervenleitung beitragen. Die SuS kennen die beiden Möglichkeiten, wie ein Organismus die Nervenleitgeschwindigkeit erhöhen kann und kennen die damit verbundenen evolutionären Vorteile. Die SuS kennen die verschiedenen Stadien in der Entwicklung einer SchwannZelle. Die SuS wissen wie eine Schwann-Zelle die Dicke ihrer Myelinschicht reguliert. Nebst der bekanntesten Nervenerkrankung (Multiple Sklerose, welche das zentrale Nervensystem betrifft) kennen die SuS auch die häufigste Erkrankung des peripheren Nervensystems (Charcot-Marie-Tooth Neuropathie). Operationalisierte Lernziele werden den einzelnen Lehrbuchkapiteln vorausgestellt und dienen so den SuS als Anhaltspunkte des zu beherrschenden Stoffes. 3 Lehrbuchkapitel 1.3 Formatives Assessment Kreuze jeweils die korrekte Aussage an. Sind die untenstehenden Aussagen richtig oder falsch? Richtig Falsch Jede Zelle besitzt eine Zellwand. Die Zellmembran (Plasmamembran) besteht aus einer Lipiddoppelschicht (Fettschicht) in welche Proteine eingelagert sind. Die weissen Blutkörperchen (Leukozyten) transportieren Sauerstoff. Lymphozyten (T-Zelle und B-Zellen) sind für die adaptive (erworbene) Immunantwort verantwortlich. Das Neuralrohr entwickelt sich aus der Neuralplatte. Das Neuralrohr ist die Anlage für das periphere Nervensystem. Das Nervensystem besteht nur aus Neuronen. homolog analog Arm des Menschen – Flügel der Fledermaus Flügel von Vögeln – Flügel von Insekten Flipper von Delfinen – Bein des Hundes Als Autosomen werden in der Genetik jene Chromosomen bezeichnet, die nicht zu den Geschlechtschromosomen (X, Y) gehören. Hier wird ein autosomal dominanter Erbgang abgebildet. Die Entwicklung von analogen Merkmalen wird als konvergente Evolution Bezeichnet. Merkmale die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen werden als analog bezeichnet. Handelt es sich bei den folgenden Paaren um analog oder homolog entstandene Strukturen? 4 Lehrbuchkapitel 1.3.1 Formatives Assessment – Musterlösungen Zur einfachen und schnellen Korrektur empfiehlt sich die Lösungsschablone, welche auf der nächsten Seite zu finden ist. Sind die untenstehenden Aussagen richtig oder falsch? Richtig Falsch Jede Zelle besitzt eine Zellwand. Die Zellmembran (Plasmamembran) besteht aus einer Lipiddoppelschicht (Fettschicht) in welche Proteine eingelagert sind. Die weissen Blutkörperchen (Leukozyten) transportieren Sauerstoff. Lymphozyten (T-Zelle und B-Zellen) sind für die adaptive (erworbene) Immunantwort verantwortlich. Das Neuralrohr entwickelt sich aus der Neuralplatte. Das Neuralrohr ist die Anlage für das periphere Nervensystem. Das Nervensystem besteht nur aus Neuronen. Als Autosomen werden in der Genetik jene Chromosomen bezeichnet, die nicht zu den Geschlechtschromosomen (X, Y) gehören. Hier wird ein autosomal dominanter Erbgang abgebildet. homolog analog Arm des Menschen – Flügel der Fledermaus Flügel von Vögeln – Flügel von Insekten Flipper von Delfinen – Bein des Hundes Die Entwicklung von analogen Merkmalen wird als konvergente Evolution Bezeichnet. Merkmale die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen werden als analog bezeichnet. Handelt es sich bei den Folgenden paaren um analog oder homolog entstandene Strukturen? 5 Lehrbuchkapitel 1.3.2 Formatives Assessment – Lösungsschablone 6 Lehrbuchkapitel 1.4 Das Nervensystem Lernziele Du kennst die Zweiteilung des Nervensystems und kannst jeweils ein Beispiel geben. [K1 K2] Du kannst die verschiedenen Zelltypen des Nervensystems aufzählen. [K1] Das Nervensystem lässt sich in das zentrale Nervensystem (ZNS) und ins periphere Nervensystem (PNS) einteilen. Das ZNS besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Das übrige Nervensystem wird dem PNS zugeteilt. Die meisten Zellkörper der Nervenzellen, Neuronen, liegen im Gehirn. Eine Ausnahme bilden die so genannten Ganglien, welche eine Ansammlung von Neuronenzellkörpern im PNS sind. Neurone bilden lange Fortsätze, die sogenannten Axone, welche sich bis weit in die Peripherie erstrecken sowie kurze Fortsätze, die Dendriten, welche im Kontakt mit anderen Neuronen sowie Gliazellen stehen. Die beiden Abb. 1) Das Nervensystem eines Menschen 1 Teile des Nervensystems unterscheiden sich nebst ihrer (Angepasst von Funktion in ihrer Zellzusammensetzung. Abb. 2) Zellen des Nervensystem. Nebst den Neuronen besitzt das Nervensystem unterschiedliche Gliazellen (vom. Gr. Glia Leim) auch „Stützzellen genannt. Die myelinisierenden ( isolierenden) Gliazellen des peripheren Nervensystems sind die Schwann-Zellen und die des zentralen Nervensystems die Oligodendrozyten. Während Schwann-Zellen jeweils nur ein Axon umhüllen, können Oligodendrozyten mehrere Axone gleichzeitig myelinisieren. Das ZNS verfügt zusätzlich über weitere Gliazellen, welche unterschiedliche Funktionen haben. Die Mikroglia sind die Immunzellen des ZNS und schützen vor Pathogenen (Krankheitserregern). Astrozyten ernähren die Neurone über Kontakte zu den Blutgefässen und regulieren die 1 extrazellulären Konzentrationen von Ionen und Neurotransmitter (Angepasst von 7 Lehrbuchkapitel 1.5 Das Aktionspotential und die Funktion von Myelin Lernziele Du kannst erklären, wieso es für ein Axon von Vorteil ist Myelin zu besitzen. [K2] Du kennst die wichtigsten Ionenkanäle welche für das Membranpotential verantwortlich sind und kannst erklären wie ein Aktionspotential weitergeleitet wird. [K1 K2] Jede Zelle hat eine Spannung, das Membranpotential, über ihre Plasmamembran. Das Membranpotenzial der Neurone entsteht durch die unterschiedliche Verteilung von Ionen, insbesondere Kalium- und Natriumionen. Die Konzentration von Anionen (negativ geladene Ionen) ist auf der Innenseite der Plasmamembran grösser, wohingegen Kationen (positiv geladene Ionen) konzentrierter in der extrazellulären Flüssigkeit sind. Daraus resultiert, dass das Zytoplasma negativer geladen ist als die extrazelluläre Flüssigkeit. Das sogenannte Ruhepotential tierischer Zellen liegt bei -70 mV. Das Membranpotenzial wird durch die unterschiedlichen Leitfähigkeiten der Membran für die verschiedenen Ionen und durch die Natrium-Kalium-Pumpe aufrechterhalten. Abb. 3) Das Membranpotential Die Natrium-Kalium-Pumpe generiert und hält den Ionengradienten von Na und aufrecht. Die Pumpe benötigt Energie in Form von ATP. Bei einem Transportvorgang werden gleichzeitig 3 Natrium-Ionen in den Extrazellularraum und 2 Kalium-Ionen ins Zytoplasma transportiert. Kalium diffundiert stetig aus der Zelle und Natrium hinein. Die im Verhältnis zu den offenen Natriumkanälen grosse Menge offener Kaliumkanäle, führt zu einem Signifikanten Ausfluss von Kationen. Da die Plasmamembran für Anionen wie Cl nur schwach permeabel ist, führt der Ausfluss von dazu, dass die Membraninnenseite 1 negativ geladen wird. (Angepasst von Veränderungen des Membranpotentials eines Neurons führen zu Nervenimpulsen. Reize, welche die Durchlässigkeit der Membran für Ionen ändern, depolarisieren (wird positiver) oder hyperpolarisieren (wird negativer) die Membran im Vergleich zum Niveau des Ruhepotenzials. Ein Nervenimpuls, auch als Aktionspotenzial oder Spike bezeichnet, ist eine schnelle, kurzfristige Depolarisation der Membran eines Neurons. Ein lokaler depolarisierender Stimulus (Reiz), der das Potenzial über das Schwellenpotential (vgl. Abb. 4, Mitte) bringt, öffnet spannungsgesteuerte Natriumkanäle, und der schnelle Einstrom von Na bringt das Membranpotential auf einen positiven 8 Lehrbuchkapitel Wert. Durch das zeitverzögerte Öffnen spannungsgesteuerter K-Kanäle und das Schließen der NaKanäle kehrt das Membranpotential wieder auf das Ruhepotential zurück. Nach dem Aktionspotential folgt eine Refraktärzeit, während der die spannungsgesteuerten Na-Kanäle inaktiviert sind und somit kein erneutes Aktionspotential ausgelöst werden kann. Abb. 4) Die Rolle spannungsgesteuerter Ionenkanäle bei der Entstehung des Aktionspotentials 1 (Angepasst von Nervenimpulse werden entlang eines Axons fortgeleitet. Wurde ein Aktionspotential in einem Axon generiert, breitet sich eine Depolarisationswelle entlang des Axons aus und führt zur Entstehung einer Serie von Aktionspotentialen entlang der Membran bis an das Ende des Axons. In der Natur gibt es zwei Möglichkeiten die Nervenleitgeschwindigkeit zu erhöhen (für Details siehe Kapitel 1.6.1). Die erste Möglichkeit ist die Zunahme des Durchmessers der Axone, wie dies zum Beispiel beim Riesenaxon des Tintenfischs geschehen ist. Die zweite Möglichkeit ist, die Axone zu isolieren, umso weniger Signal zu verlieren, was ebenfalls zu einer schnelleren Nervenleitgeschwindigkeit führt. Dies geschieht durch das sogenannte Myelin, welches von 9 Lehrbuchkapitel speziellen Gliazellen produziert wird. Im peripheren Nervensystem wickeln sich die Schwann-Zellen um ein Axon (siehe Abb. 5). Abb. 5) Schwann-Zellen und Myelinschichten. Schwann-Zellen sind die myelinisierenden Zellen des peripheren Nervensystems. Das rechte Bild ist eine Aufnahme von einem Elektronenmikroskop und zeigt eine myelinisierende Schwann-Zelle im Ischiasnerv. Bei enormer Vergrösserung kann man die Einzelnen 1 Myelinschichten erkennen. (Angepasst von EM Bilder: eigene Aufnahmen) Im zentralen Nervensystem werden die Myelinschichten von den Oligodendrozyten gebildet. Im Unterschied zu Schwann-Zellen, kann ein Oligodendrozyt mehrere Axone gleichzeitig myelinisieren. In den myelinisierten Axonen der Vertebraten (Wirbeltiere) existiert eine saltatorische (sprunghafte) Fortleitung der Nervenimpulse, da das Aktionspotenzial von einem Ranvier-Schnürring (vgl. Abb. 5) zum nächsten springt. Dies ist erheblich schneller als die kontinuierliche Fortleitung bei unmyelinisierten Axonen. Dadurch kann ein Axon ein Signal in derselben Zeit über eine weitere Strecke transportieren, wodurch das Signal schneller am Ziel ankommt. Abb. 6) Saltatorische Fortleitung der Nervenimpulse. A)Die durch ein Aktionspotenzial an einem Ranvier-Schnürring ausgelöste Depolarisation breitet sich als Ionenstrom mit sehr hoher Geschwindigkeit durch das Innere des Axons bis zum nächsten Schnürring aus (blaue Pfeile) und löst dort ein Aktionspotential aus. Infolgedessen springt das Aktionspotential, wenn es entlang eines myelinisierten Axons läuft von einem Schnürring zum Nächsten (rote Pfeile). B) Schematische Darstellung eines Aktionspotentials an einem unmyelinisierten Axon (oben) sowie einem myelinisierten Axon (unten). Beim myelinisierten Axon springt das Signal von einem Ranvier-Schnürring zum Nächsten. Darum kann ein Axon ein Signal in derselben Zeit über eine weitere Strecke 1 transportieren. (Angepasst von 10 Lehrbuchkapitel 1.6 Myelin Lernziele Du kannst die häufigsten drei Vertreter von Myelinlipiden aufzählen. [K1] Du kannst die drei wichtigsten Myelinproteine nennen, sowie deren Funktion erklären. [K2] Myelin ist eine lipidreiche (fettreiche) Membran, welche von Schwann-Zellen im PNS, respektive von Oligodendrozyten im ZNS gebildet wird. Myelin isoliert die Zellen, was eine saltatorische Signalweiterleitung erlaubt, da das Aktionspotenzial von einem Ranvier-Schnürring zum Nächsten springt. Währen der Myelinisierung müssen Gliazellen eine enorme Menge an Lipiden in kurzer Zeit generieren. Circa 30 Prozent des Trockengewichts eines menschlichen Gehirns ist Myelin. Myelin Besteht zu 99.5 aus Lipiden und nur gerade zu 0.5 aus Proteinen, wohingegen eine normale Zellmembran ca. zur Hälfte aus Lipiden und zur anderen Hälfte aus Proteinen besteht. Es gibt grosse Unterscheide in der Proteinzusammensetzung des PNS und des CNS Myelins, wohingegen die Lipidzusammensetzung erstaunlich ähnlich ist. Die häufigsten Vertreter der Lipide sind Cholesterol, Galactosylceramide und Plasmogene. Diese Lipide erlauben eine strukturierte und enge Organisation der Moleküle in der Membran. Cholesterol ist ein essentieller Bestandteil aller Membranen der Säugetiere. Seine Hauptaufgabe ist die Regulation der Fluidität (Beweglichkeit der Lipide und Proteine) und der Permeabilität (Durchlässigkeit) der Membran. Nebst diesen beiden Eigenschaften scheint die Cholesterolsynthese direkt mit der Myelinisierungsgeschwindigkeit gekoppelt zu sein2. Galactosylceramide sind die häufigsten Myelinproteine und dienen der Stabilisierung des Myelins3. Plasmogene schützen ungesättigte Lipide in der Membran vor der Oxidation, da sie freie Radikale abfangen4. Verantwortlich für die Anreicherung von Lipiden in den Myelinschichten ist das Myelin-Basische Protein, kurz MBP, welches das Eindringen der meisten anderen Proteine in die verdichteten Myelinschichten verhindert5. Weitere wichtige Proteine sind jene, welch die einzelnen Schichten des Myelins zusammenhalten. Der Wichtigste Vertreter im ZNS ist das Proteolipid Protein (PLP) wohingegen Protein Zero (P0) diese Funktion im PNS übernimmt. PLP interagiert direkt mit der gegenüberliegenden Membran. P0 kann einerseits mit der gegenüberliegenden Membran, aber auch mit anderen P0 Proteinen, welche in der gegenüberliegenden Membran eingelassen sind interagieren (siehe Abb. 7)6. 11 Lehrbuchkapitel Abb. 7) Die Struktur der Myelinschichten 6 MBP: Myelin-Basisches Protein, PLP: Proteolipid Protein, P0: Protein Zero (Angepasst von 12 Lehrbuchkapitel 1.6.1 Evolution des Myelins Lernziele Du bist in der Lage anhand des Axondurchmessers zu bestimmen ob ein Axon myelinisiert sein sollte oder nicht. [K4] Du kannst die beiden Möglichkeiten die Nervenleitgeschwindgikeit zu erhöhen erklären. [K2] Du kannst die konvergente Evolution anhand der Entwicklung des Myelins erklären. [K2] Es gibt mehrere Möglichkeiten die Nervenleitgeschwindigkeit zu erhöhen. Die erste Möglichkeit ist die Zunahme des Durchmessers der Axone, wie dies zum Beispiel beim Riesenaxon des Tintenfisches geschehen ist. Diese Axone sind in der Regel 10- bis 100-mal dicker als herkömmliche Axone. Ein einzelnes Axon kann so einen Durchmesser von bis zu einem Millimeter erreichen 7. Dies entspricht in etwa dem Durchmesser des gesamten Ischiasnerven (grösster peripherer Nerv) der Maus welcher um die 1000 Axone beinhaltet. A) B) Abb. 8) A) Riesenaxon des Tintenfisches. Das Riesenaxon ist in grün eingefärbt, wohingegen ein 8 durchschnittliches Axon in rot eingefärbt ist. (Angepasst von 9 B) Ischiasnerv (Angepasst von Die zweite Möglichkeit ist die Axone zu isolieren, umso weniger Signale zu verlieren, was ebenfalls zu einer schnelleren Nervenleitgeschwindigkeit führt. Dies geschieht durch das sogenannte Myelin, welches von speziellen Gliazellen produziert wird (für Details siehe Kapitel 1.5). Da die Nervenleitgeschwindigkeit nicht linear zum Axondurchmesser ist (siehe Abb. 9) macht es besonders Sinn dicke Axone zu myelinisieren. Es gilt auch zu bedenken, dass Myelin eine Investition für den Organismus ist, weswegen es für zu kleine Axone nicht verhältnismässig wäre. 13 Lehrbuchkapitel Abb. 9) Nervenleitgeschwindigkeit in Abhängigkeit des Axondurchmessers Es macht physiologisch Sinn, Axone ab einem Mikrometer Durchmesser zu myelinisieren, da bei zu kleinen Axonen der Aufwand im Verhältnis zum Ertrag zu gross wäre. Zudem geht bei zunehmendem Axondurchmesser verhältnismässig immer mehr 10 Signal verloren. (Angepasst von Primitive (ursprüngliche) Vertreter der Wirbeltiere (Vertebrata) wie Schleimale und Neunaugen besitzen kein Myelin11. Die frühsten Vertreter der Wirbeltiere welche Myelin besassen, waren die Panzerfische (Placodermi), Haie (Selachii) und Knochenfische (Osteichthyes)12. In den frühen Tagen der Mikroskopie des Nervensystems, wurde Myelin in Wirbeltieren sowie in Wirbellosen (Invertebrata) beschrieben. Seit dem Aufkommen des Elektronenmikroskops hingegen lag der Fokus der Untersuchungen primär auf den Vertebraten. Häufig wird daher fälschlicherweise angenommen, dass lediglich Wirbeltiere Myelin besitzen13. Wie bei anderen Beispielen konvergenter Evolution, wie Augen und Flügel, unterscheidet sich zwar der Aufbau von Myelin in den unterschiedlichen Taxa, aber die Funktion der saltatorischen Impulsweiterleitung bleibt dieselbe7. 7 Abb. 10: Schematische Darstellung von Myelin in unterschiedlichen myelinisierten Taxa (Angepasst von Interessanterweise trat die konvergente Evolution von Myelin bei den Zweiseitentieren (Bilateria) gleich mehrfach auf. Dies macht es allerdings schwierig, einen ökologischen Umstand und einen damit verbundenen Selektionsdruck zu finden. Es wird angenommen, dass bei den Krustentieren der Lebensstiel im freien Waser und die damit verbundene Exposition gegenüber Räubern ein Faktor war, da Myelin die Nervenleitgeschwindigkeit erhöht und somit eine schnellere Flucht erlaubt. 14 Lehrbuchkapitel Grundlebende Tiere wie Krabben und Hummer hingegen besitzen kein Myelin. Die meisten grossen Ruderfusskrebse (Copeopden) welche kein Myelin besitzen, bewohnen dunkle Tiefen der Ozeane und migrieren nur Nachts zur Nahrungsaufnahme an die Wasseroberfläche14. Abb. 11: Vereinfachter Stammbaum der Bilateria A) Taxa welche Myelin besitzen sind in blau, Taxa ohne Myelin sind in rot dargestellt. Das Vorhandensein von Myelin in den mit einem Stern gekennzeichneten Taxa wurde noch nicht durch elektronenmikroskopische 7 Bilder bestätigt (Angepasst von ). B) Beispielbilder der einzelnen Taxa. Bilder von: Federwurm: Ringelwurm: Bambuswurm: Wattwurm: Erdwurm: Egel: Schleimaal: Hummer: Zehnfusskrebs: Schwebegarnele: Fangschreckenkrebs: Copepod: Fisch: (Stand 22.09.2015) 15 Lehrbuchkapitel 1.6.2 Entstehung des Myelins Lernziele Du kannst die Stadien der Schwann-Zell Entwicklung aufzählen. [K1] Du kannst einem Mitschüler die Funktion von Neuregulin erklären. [K2] Du kannst anhand eines Bildes das entsprechende G-Ratio ermitteln. [K3] Die embryonale Phase der Schwann-Zell-Entwicklung umfasst drei transiente (nicht dauerhafte) Zellpopulationen. Zuerst wandern die Neuralleistenzellen. Diese Zellen entstehen kurz nach der Neurulation, wobei sich die Neuralplatte zuerst zu einer Neuralfurche und danach zu einem Neuralroh faltet. Neuralleistenzellen entstehen an dem Punkt wo das frisch gefaltete Neuralrohr noch mit der Neuralplatte in Kontakt ist. Aus diesen Zellen können nebst Schwann-Zellen auch Melanozyten (Pigmentzellen der Haut), Neurone, Knorpelzellen, sowie Zellen der Nebennierenrinde werden. Im zweiten Stadium der Schwann-Zell-Entwicklung exprimieren die Schwann-ZellVorläuferzellen etliche Differenzierungsmarker, welche dafür sorgen, dass sich diese Zellen später zu Schwann-Zellen entwickeln. Unter anderem Protein Zero (P0), welches eines der wichtigsten Myelinproteinen des peripheren Nervensystems ist. im dritten Stadium werden die Zellen unausgereifte Schwann-Zellen genannt. Ihr weiteres Schicksal hängt nun vom Durchmesser der von ihnen berührten Axone ab. Einige unausgereifte Schwann-Zellen bilden ein Bündel um Axone (siehe Abb. 12). Hat ein Axon nun einen Durchmesser von mehr als einem Mikrometer, wird es von einer Schwann-Zelle aus dem Bündel aussortiert. Dieser Prozess wird als „Radial Sorting bezeichnet. Diese pro-myelinisierende Schwann-Zelle befindet sich nun in einem Eins-zu-Eins Verhältnis mit einem Axon und ist bereit zur Myelinisierung. Axone welche einen Durchmesser von weniger als einem Mikrometer aufweisen, bleiben im Bündel, welches zu einem sogenannten Remark-Bündel heranreift, sobald alle grossen Axone aussortiert wurden. Die verbleibende Schwann-Zelle differenziert schliesslich weiter zu einer nicht-myelinisierenden Schwann-Zelle15. Die pro-myelinisierenden Schwann-Zellen entscheiden anhand des Axondurchmessers wieviel Myelin sie bilden sollten. Genauer gesagt anhand der Proteinmenge von Neuregulin (Nrg), welches auf der Oberfläche des Axons vorhanden ist. Je dicker ein Axon ist, desto grösser ist dessen Oberfläche und desto mehr Neuregulin wird von der Schwann-Zelle erkannt. Diese Zell-Zell Kommunikation führt dazu, dass Schwann-Zellen um dicke Axone verhältnismässig mehr Myelin bilden als solche um Dünne. 16 Lehrbuchkapitel Abb. 12) Die Schwann-Zell Abstammungslinie. Schematische Darstellung der Entwicklung von SchwannZellen. Das Verhältnis des Axondurchmessers und der entsprechenden Myelindicke ist erstaunlich stabil. Diese Korrelation wird mit dem sogenannten G-Ratio beschrieben. Das G-Ratio ist der Quotient aus Axondurchmesser und Gesamtdurchmesser der Faser (Axon Myelinschicht) und beträgt im Peripheren Nervensystem ca. 0.65 (siehe Abb. 13). 17 Lehrbuchkapitel Abb. 13: G-Ratio. A) Schematische Abbildung eines Axons und seiner Myelinschicht. Das G-Ratio ist das Verhältnis des Axondurchmessers und des Gesamtdurchmessers (Axon Myelin). B) Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Ischiasnerven. Das G-Ratio ist konstant. Je dicker das Axon, desto dicker ist auch die Myelinschicht. Axondurchmesser: grün rot blau. Myelindicke grün rot blau. Das gelbe Axon ist kleiner als ein Mikrometer und befindet sich daher in einem Remark-Bündel. 1.7 Myelin und Erkrankungen Da Myelin eine sehr wichtige Funktion hat ist eine intakte Myelinschicht nicht zuletzt für den Menschen essentiell. Es gibt etliche Erkrankungen welche aus Problemen mit der Myelinschicht resultieren. Es kann einerseits sein, dass die Gliazellen sterben und so die Myelinschicht verloren geht. Weiter kann es sein, dass die Zellen unkontrolliert Myelin bilden oder abbauen, was ebenfalls zu Problemen führt. Je nach Ort des Problems äussert sich der klinische Phänotyp (Krankheitsbild) unterschiedlich. Probleme im peripheren Nervensystem führen zu dem Verlust der Sensorik und/oder Motorik. Probleme im CNS können noch gravierender sein und sogar zum Tode führen. Im Nachfolgenden wird die häufigste Nervenerkrankung des CNS, Multiple Sklerose, sowie die häufigste Erkrankung des PNS, Charcot-Marie-Tooth Neuropathie, beschreiben. 1.7.1 Multiple Sklerose Lernziele Du kannst die Verbreitung von MS auf einer Karte darstellen. [K2] Du kannst die drei Verlaufsformen der MS beschreiben. [K1] Du kannst die Rolle der Lymphozyten bei MS erklären. [K2] Multiple Sklerose (MS) ist die am häufigsten vorkommende, chronisch-entzündliche Krankheit des CNS bei jungen Erwachsenen. Bei MS werden die Myelinscheiden des gesamten CNS durch körpereigene Abwehrzellen angegriffen. Dadurch können sehr viele unterschiedliche neurologische Symptome auftreten, wie zum Beispiel eine Minderung der Sehschärfe, Gehschwierigkeiten, oder gestörte Schmerzempfindungen. MS ist bis zum heutigen Stand nicht heilbar, jedoch kann durch gewisse Massnahmen die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessert werden. 18 Lehrbuchkapitel 1.7.1.1 Entstehung und Verbreitung Die Krankheit beginnt in einem Alter von 20 – 40 Jahren, wobei doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen sind. Das Risiko an MS zu erkranken liegt bei ca. 0.25 %. Der grundlegende Auslöser für MS ist noch unbekannt, jedoch wurden schon verschiedene Risikofaktoren für die Krankheit beschrieben. Betrachtet man die geographische Ausbreitung von MS ist deutlich sichtbar, dass die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) mit dem Abstand zum Äquator zunimmt 16. 17 Abb. 14) Geographie der Multiplen Sklerose. Die wichtigsten Migrationstrends sind durch Pfeile dargestellt Die derzeitige Forschung versucht diese Erkenntnis mit viralen Infektionen, Rauchen oder Vitamin Mangel zu erklären. Vitamin wirkt unter anderem entzündungshemmend. Der Vitamin Mangel könnte eine wichtige Rolle spielen, da die Bevölkerung, welche über dem 40. Breitengrad beheimatet ist, zu wenig Sonnenlicht für eine ausreichende Vitamin Synthese abbekommt. Es gibt Indizien, dass eine Erkrankung am Epstein-Barr-Virus in jungen Jahren abwehrend gegen MS wirken könnte18. 1.7.1.2 Krankheitsverlauf Der Krankheitsverlauf von MS ist vorwiegend durch sogenannte Schübe bestimmt. Ein Schub definiert sich als momentaner, entzündlicher Prozess mit entsprechenden neurologischen Symptomen. Die Symptome müssen mindestens 24 Stunden anhalten, damit dies als Schub definiert wird. Weiter müssen zwischen zwei unabhängigen Schüben mindestens 30 Tage vergehen. Je nachdem, ob die neurologischen Symptome eines Schubes wieder völlig abklingen oder nicht wird von einer kompletten oder inkompletten Remission (Rückgang) gesprochen. Anhand dieser Schübe und Remissionen kann man MS in drei verschiedene Verlaufsformen einteilen; schubförmiger19 Lehrbuchkapitel remittierender Verlauf (RRMS), sekundär-progredienter (fortschreitend) Verlauf (SPMS) und primärprogredienter Verlauf (PPMS) 19. In den meisten Fällen startet die Krankheit mit einem schubförmig-remittierenden Verlauf (RRMS) und entwickelt sich mit der Zeit zu einer sekundär-progredienten Form (SPMS). Während der RRMS Form haben die Patienten unterschiedlich starke Schübe, welche jedoch mehr oder weniger komplett remittieren. Beginnt sich jedoch ein progredienter Verlauf zu entwickeln, zeigen die Patienten irreversible Dysfunktionen (Funktionsstörungen) und die Lebensqualität verschlechtert sich zunehmend. Bei den wenigen Fällen, bei denen PPMS diagnostiziert wird, erleiden die Patienten eine schleichende Verminderung der neurologischen Fähigkeiten. PPMS weist keine Remissionen auf 14,15. Abb. 15: Verlaufsformen der MS RRMS) Unvorhersehbare Schübe führen zu Einschränkungen, die sich anfangs meist komplett und im späteren Verlauf nur noch teilweise zurück bilden. SPMS) Es findet eine schleichende Verschlechterung der Symptome statt. Dieser Entwicklung können einzelne Krankheitsschübe aufgesetzt sein. Diese Form setzt bei vielen Patienten einige Jahre nach der RRMS ein. PPMS) Von Anfang an kommt es zu einer schleichenden Verschlechterung der Symptome ohne erkennbare Krankheitsschübe. 20 (Angepasst von 1.7.1.3 Neuronales Krankheitsbild Die wichtigsten Prozesse welche im CNS eines MS erkrankten Patienten stattfinden lassen sich in drei Teile gliedern; eine Entzündung, eine anschliessende Demyelinisierung (Abbau des Myelins) und schlussendlich eine Neurodegeneration (Abbau der Nervenzellen). Während dem Verlauf der Krankheit nimmt die Entzündung stetig ab, während die Neurodegeneration zunimmt. Somit gehen mit der Zeit immer mehr Axone wie auch Hirnmasse verloren, was zu neurologischen Problemen führt21. In der Entzündungsphase greifen die körpereigenen Leukozyten (weissen Blutkörperchen), welche für das Abwehrsystem des Körpers verantwortlich sind, gewisse Bestandteile des CNS Myelins an. Es 20 Lehrbuchkapitel gibt bereits Medikamente, welche das Abwehrsystem schwächen und somit die Symptome von MS Patienten lindern. Die Leukozyten haben verschiedene Untergruppen. Die zwei häufigsten sind die T- und B-Zellen, die sogenannten Lymphozyten. In MS greifen die T-Zellen während der Entzündungsphase das Myelin direkt an, während dessen die B-Zellen Antikörper gegen das Myelin entwickeln. Diese Angriffe der Lymphozyten schädigen die Oligodendrozyten dermassen, dass eine Demyelinisierung der Nervenzelle stattfindet21. Die Demyelinisierung führt zu einer verringerten Nervenleitgeschwindigkeit. Da die Nervenzellen nicht mehr genügend voneinander abgeschirmt werden, kann dies zu Schmerzempfindungen führen. Zusätzlich zum Abbau des Myelins wird auch das Axon selbst von den autoimmunen T-Zellen stark angegriffen, was zu einem Abbau von Teilen oder von ganzen Nervenzellen führt21. 1.7.1.4 Diagnose und Prognose Heutzutage ist es möglich eine MS Diagnose anhand eines neurologischen Status, einer Lumbalpunktion (Entnahme von Nervenwasser aus dem Rückenmark) oder einer MRI (Magnetresonanztomographie) zu stellen 19. Mit Hilfe dieser Methoden hat sich auch die Möglichkeit eine Prognose für die Patienten zu stellen in den letzten Jahren um einiges verbessert. Dies ermöglicht es den Patienten die am besten passende Behandlung zukommen zu lassen. 21 Lehrbuchkapitel 1.7.2 Charcot-Marie-Tooth Neuropathie Lernziele Du kannst die wichtigsten Erscheinungsbilder von CMT aufzählen. [K1] Du kannst die bei CMT betroffenen Zelltypen aufzählen. [K1] Du kannst die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten von MS und CMT erklären. [K2] Die Charcot-Marie-Tooth (CMT) Neuropathie wurde nach ihren Entdeckern Jean-Martin Charcot (1825–1893), Pierre Marie (1853–1940) und Howard Tooth (1856–1926) benannt. Heutzutage ist auch die Bezeichnung „Hereditäre (erbliche) motorisch-sensible Neuropathie geläufig. Sie ist eine häufigste Erkrankung des peripheren Nervensystems. Die Krankheit kann bereits im Kindesalter auftreten. Personen, welche unter CMT leiden, zeigen typischerweise eine distale (weit von der Körpermitte entfernte) Muskelschwäche und Atrophie (Gewebeschwund), oft zusammen mit einem Verlust der sensorischen Funktionen, sowie verringerten Sehnenreflexen und Hohlfuss22. Abb. 16) Erscheinungsbild bei Charcot-Marie-Tooth Neuropathie A) Pes cavus (Hohlfuss) B) Muskelschwäch der Hände C) Pes varus D) Nervenbiopsie. Demyelinisiertes Axon 23,24 (schwarzer Pfeil), „onion bulb (Pfeilspitze), abnormales Remark-Bündel (weisser Pfeil). (Angepasst von 1.7.2.1 Entstehung und Verbreitung In den meisten Fällen von CMT handelt es sich um ein autosomal dominant vererbtes Leiden, daher gibt es Häufungen innerhalb einzelner Familien. Im Schnitt sind gleich viele Männer wie Frauen betroffen. Das Risiko an CMT zu erkranken liegt bei ca. 0.03 und liegt somit viel tiefer als das Risiko an MS zu erkranken. Trotzdem ist CMT die am häufigsten vererbte Neuropathie des PNS. Die Forschung an CMT hat in den letzten Jahren zugenommen, ist dennoch noch nicht so fortgeschritten, dass eine Beschreibung über die genaue Entstehung der Krankheit möglich ist. Es wurde jedoch entdeckt, dass vor allem Mutationen auf dem Chromosom 17 CMT auslösen22. 22 1.7.2.2 Krankheitsverlauf Es gibt verschiedene Formen von CMT. Entweder werden durch genetische Mutationen die Neurone direkt geschädigt, oder aber die Mutation beeinflusst die Schwann-Zellen und somit das Myelin. Es gibt Fälle, bei denen das Myelin zu dick oder zu dünn wird. Beides führt wie der Verlust des Myelins zu einer verringerten Nervenleitgeschwindigkeit. Durch den Verlust der Nervenleitung werden die innervierten (mit Nerven versorgten) Muskeln nicht mehr verwendet und es kommt zur Atrophie (Muskelschwund)23,24. Im Gegensatz zu Muskeldystrophie, haben Patienten welche an CMT leiden bei der Geburt normale Muskeln, welche erst schwinden, wenn die Nerven beeinträchtigt sind. 1.7.2.3 Neuronales Krankheitsbild Wie bereits erwähnt, betrifft die Krankheit bereits Kinder, welche dann an Hohlfüssen leiden. Dies führt in jungen Jahren zu Gangstörungen oder motorischen Ungeschicklichkeiten. Spätestens im erwachsenen Alter führt CMT zu einer zunehmenden Schwäche von Händen und Füssen, welche sich auf Arme und Beine ausbreitet. Manchmal führt dies auch zu einem Leben mit Krücken oder im Rollstuhl. Zusätzlich sind auch die Reflexe der betroffenen Personen häufig verringert oder sogar ganz verschwunden. Wegen diesen Symptomen leiden die Patienten auch häufig an Schmerzen während körperlichen Aktivitäten22. 1.7.2.4 Diagnose und Prognose Für eine Diagnose von CMT werden häufig familiäre Stammbäume zu Rate gezogen und auch genetische Untersuchen gemacht. Falls anschliessend immer noch ein Verdacht auf CMT besteht, wird eine Elektroneurographie durchgeführt. Dabei wird die Nervenleitgeschwindigkeit der Patienten mit Hilfe von Elektroden gemessen. Bei dieser Messung wird bei CMT Patienten häufig eine Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit beobachtet. CMT ist eine langsam fortschreitende Krankheit welche im Laufe der Zeit immer mehr zunimmt. Wie bei MS gibt es bis heute keine Heilungsmöglichkeit, jedoch wird die Lebenserwartung nicht eingeschränkt23. 23 Didaktische Umsetzung 2 2.1 Didaktische Umsetzung Reflexion über grundlegende Misskonzepte Das Nervensystem kann nicht regenerieren Dies trifft nur auf das zentrale Nervensystem zu. Das periphere Nervensystem kann sich hingegen beinahe komplett regenerieren. Dieses Misskonzept ist weit verbreitet, da dies noch vor 20 Jahren so in der Schule unterrichtet wurde. In den letzten Jahren hat die Grundlagenforschung viele neue Erkenntnisse diesbezüglich erbracht. Es gibt mehrere Gründe, warum das PNS sich regenerieren kann und das ZNS nicht. Der wohl wichtigste Grund sind die vorhandenen Zellen. Schwann-Zellen können auch in ausgewachsenen Organismen noch myelinisieren, wohingegen Oligodendrozyten dies nicht können. Im adulten ZNS gibt es Inhibitoren wie zum Beispiel Nogo A, welche verhindern dass Oligodendrozyten myelinisieren können. Diese Inhibitoren bleiben auch nach einer Verletzung noch aktiv, was eine Remyelinisierung verhindert. Ein Nerv ist nur ein Neuron Diese Aussage ist gleichermassen falsch wie wenn ich sagen würde das Herz ist eine Zelle. Der Nerv ist wie das Herz auch ein Organ und somit aus mehreren Zellen aufgebaut, welche gemeinsam eine Funktion ausüben. Periphere Nerven bestehen aus mehreren hundert Axonen, von welchen jedes einzelne von etlichen Schwann-Zellen myelinisiert wird. Nebst diesen offensichtlichen Zellen beinhaltet ein Nerv auch Blutgefässe (Endothelzellen), Stützzellen (Fibroblasten) sowie einige residente („ortsansässige) Immunzellen. Myelin ist eine Schicht Auch wenn dies auf den Ersten Blick so scheinen mag, stimmt dies jedoch nicht. Erst mit der Erfindung der Elektronenmikroskope konnte dies eindeutig bewiesen werden, da normale Lichtmikroskope nicht eine genug hohe Auflösung besitzen um die einzelnen Myelinschichten darzustellen. Die lipidreiche Membran der Schwann-Zellen wickelt sich spiralförmig um das zu isolierende Axon. Da diese einzelnen Schichten eng zusammengehalten werden, erweckt dies den Eindruck einer einzelnen, dicken Schicht. Alle Nerven haben Myelin Diese Aussage trifft weder auf das ZNS noch auf das PNS zu. Im ZNS gibt es Axone, welche nicht von Oligodendrozyten myelinisiert werden. Je wichtiger ein Axon ist (je häufiger es gebraucht wird) desto wahrscheinlicher ist es, dass es myelinisiert wird. Im PNS gibt es nicht-myelinisierende SchwannZellen, welche die kleinen Axone (