Arbeitsblatt: Deutschdidaktik - Texte überarbeiten

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Textüberarbeitung - ein zentraler Bestandteil der Schreibförderung. Wie kann die Überarbeitungskompetenz im Unterricht gefördert werden und was können Schreibkonferenzen dazu beitragen?
Pädagogik und Psychologie
Methodologie
7. Schuljahr
38 Seiten

Statistik

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20.02.2016

Autor/in

Adrian Bechtiger
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Pädagogische Hochschule Zürich DE S230 Abschlussarbeit Deutschdidaktik Sekundarstufe Textüberarbeitung ein zentraler Bestandteil der Schreibförderung Wie kann die Überarbeitungskompetenz im Unterricht gefördert werden und was können Schreibkonferenzen dazu beitragen? Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis1 1Einleitung.2 2Theoretische Verortung.4 2.1Die Textüberarbeitung im Schreibprozess4 2.2Textüberarbeitungen in der prozessorientierten Schreibdidaktik.8 2.3Erkenntnisse der Revisionsforschung und fachdidaktische Kernpunkte10 2.3.1Revisionsklassen und -handlungen11 2.3.2Überarbeitungskompetenz.13 3Faktoren für die Umsetzung im Unterricht15 3.1Äussere und formale Hilfestellungen.16 DE S410 Abschlussarbeit Adrian Bechtiger 3.2Methoden und Verfahren17 3.3Exekutive Verfahren – die Überarbeitungsproben.18 3.4Die Rolle der Lehrperson19 3.5Beurteilung und Bewertung20 4Schreibkonferenz als kooperative Methode zur Textüberarbeitung21 4.1Die Schreibkonferenz im Lehrmittel Sprachwelt Deutsch.22 4.2Chancen und Perspektiven für den Unterricht23 4.3Herausforderungen, Gefahren und Grenzen von Schreibkonferenzen.24 4.4Praktische Konsequenzen für den Unterricht.25 5Fazit.28 6Literatur.30 7Abbildungsverzeichnis.33 8Anhang.34 8.1Schreibprozesses nach Ludwig.34 8.2Planungsbeispiel von Fix für eine prozessorientierte Unterrichtseinheit.35 8.3Beispiel für Checkliste zur Textüberarbeitung von Fix36 8.4Raster zur Klassifikation von Textrevisionen.37 8.5Beispiel für eine Formulierungshilfe von Fix (Wortfeldkarte).38 8.6Beispiel für eine Rückfragekarte zur Schreibkonferenz.38 1 Einleitung „Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft. Nenne Vor und Nachteile dieser Tatsache und erkläre am Schluss, wie du dazu stehst bzw. erläutere deine Meinung. Du hast eine Lektion Zeit, der Aufsatz wird benotet. So oder ähnlich könnte ein traditioneller Schreibauftrag in der Sekundarschule lauten und für viele Schülerinnen und Schüler gehört diese Art von Aufgabenstellung auch heute noch ganz selbstverständlich zum Deutschunterricht dazu. Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Lernende erleben dies häufig als Last, weil sie möglicherweise zu wenig Vorwissen zum Thema haben oder auch weil es aufgrund der Prüfungssituation zu Schreibblockaden kommt. Dass der klassische Aufsatz immer noch so eine dominante Rolle spielt, erstaunt. Denn als man in den 1980erJahren zu neuen Erkenntnissen in der Schreibforschung kam, dauerte es nicht lange, bis Ideen zur prozessorientierten Schreibdidaktik entwickelt wurden. Der Schreibprozess soll demnach in eine Planungs, Formulierungs und Überarbeitungsphase aufgeteilt werden. Obwohl wir heute wissen, dass noch zahlreiche andere Faktoren den Schreibprozess beeinflussen, macht eine solche Herangehensweise im Schreibunterricht Sinn. (vgl. Fix, 2008, 119 120) Ein wesentlicher Unterschied zum produktorientierten Schreibunterricht ist dabei, dass Lernende mehr als nur eine Version des Textes schreiben sollen. Bevor es zur Textendfassung kommt, gibt es Entwürfe, die überarbeitet und optimiert werden. Dies ist eigentlich ein ganz natürliches, realitätsnahes Vorgehen und zudem befassen sich die Schülerinnen und Schüler so viel intensiver mit ihren Texten, was ihre Schreibkompetenz fördert. In den Deutschdidaktikmodulen der Pädagogischen Hochschule Zürich kamen wir zum ersten Mal mit der prozessorientierten Schreibdidaktik in Kontakt und mit der Forderung, im Unterricht auch die Überarbeitungskompetenz der Lernenden zu fördern. So ist aus der Revisionsforschung bekannt, dass sich vor allem unerfahrenere Schreiber bei Textrevisionen fast nur mit der Textoberfläche beschäftigen, aber tiefergehende, strukturelle oder inhaltliche Probleme kaum angehen. Zudem sind Schreiber erst ab einer gewissen Entwicklungsstufe fähig, einen selbstgeschriebenen Text aus der Leserperspektive zu lesen und entsprechend zu überarbeiten. Überarbeiten kann und muss also gelernt werden. (vgl. Baurmann, 2013, 89 ff.) Eine Methode die im Zusammenhang mit dem Überarbeiten immer wieder genannt wird, ist die Schreibkonferenz. Die Lernenden besprechen dabei gegenseitig ihre Texte und geben sich Rückmeldungen. Jeder kennt wohl den verblüffenden Moment, wenn man einen Text zurückerhält, nachdem er von einer anderen Person gelesen wurde. Denn oft kommen so offensichtliche Unstimmigkeiten im Text zum Vorschein, für die wir als Schreiber in gewisser Weise blind waren. Diesen Effekt können Schülerinnen und Schüler auch im Zuge einer Schreibkonferenz erleben und erhalten so wichtige Informationen für die Textrevision. 2 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Als angehende Deutschlehrer sind wir überzeugt davon, dass die Methoden der prozessorientierten Schreibdidaktik im Unterricht Eingang finden müssen. Im Rahmen dieser Arbeit möchten wir uns auf die Thematik des Überarbeitens konzentrieren, da dieser Aspekt wie erwähnt auch heute noch zu wenig Beachtung im Unterricht findet. In den Lehrplänen hat das Überarbeiten jedoch bereits einen festen Platz und im Lehrplan 21 wird die Schreibkonferenz sogar explizit als mögliche Methode erwähnt. (vgl. Lehrplan 21, 2015, 33) Dieses Interesse hat uns zu folgender Kernfrage für die vorliegende Arbeit geführt: Wie kann die Überarbeitungskompetenz im Unterricht gefördert werden und was können Schreibkonferenzen dazu beitragen? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir uns intensiv mit Literatur von Martin Fix und Jürgen Baurmann auseinandergesetzt aber auch andere Bücher und Aufsätze haben uns Anregungen und tiefere Einblicke in die Thematik ermöglicht. Der Aufbau der Arbeit gestaltet sich so, dass nun zuerst ein theoretischer Teil folgt, in dem ermittelt wird, wo das Überarbeiten im Schreibprozess verortet werden kann und welche Rolle es in der prozessorientierten Schreibdidaktik spielt. Zudem werden in diesem Kapitel die unterrichtsrelevanten Ergebnisse der Revisionsforschung präsentiert. Im dritten Kapitel zeigen wir dann auf, was konkret im Unterricht beachtet werden muss, damit die Lernenden beim Überarbeiten unterstützt werden können. Anschliessend untersuchen wir tiefergehend das Verfahren der Schreibkonferenz bevor wir dann in einem Fazit die wichtigsten Lerneinsichten darlegen. 3 Deutschdidaktik Abschlussarbeit 2 2.1 DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Theoretische Verortung Die Textüberarbeitung im Schreibprozess Im Zuge der kognitiven Wende intensivierte sich Ende der 1970erJahre die Schreibforschung in den USA. Ein weiterer Auslöser dafür waren auch Berichte, wonach die Schreibkompetenz von Schülern und Studenten nachgelassen hatten. (vgl. Kuss, 2012, 11) In diesem Zusammenhang entwickelten Hayes Flower 1980 ein noch heute oft zitiertes Model, das den Schreibprozess als Problemlöseprozess darlegt. (vgl. Sieber 2003, 212) Abb. 1: Schreibprozessmodell nach Hayes Flower, deutsche Übersetzung (MolitorLübert, 1996, 1006) Schreiben wird in diesem Model mit dem Lösen eines Problems mit offener Lösung verglichen. Der Schreibprozess wird dabei vom Aufgabenumfeld beeinflusst, zu welchem die „Aufgabenstellung, [das] Thema, die tatsächliche oder vorangestellte Leserschaft, aber auch Schlüsselreize bzw. Hinweise auf formale, strukturelle oder inhaltliche Anforderungen der Aufgabenstellung (Sieber, 2003, 212) gehören. Auch bereits entstandene Textteile gehören zum Umfeld und auch das Langzeitgedächtnis bzw. das Wissen des Autors wirkt auf den Schreibprozess ein. Bei den Untersuchungen zum Model wurden sogenannte „Thinkaloud Protokolle angefertigt, d.h. die Probanden wurden angehalten, ihre Gedanken während dem 4 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Schreibprozess zu verbalisieren. Die Forscher ermittelten dabei drei Subprozesse, das Planen, Formulieren und Überarbeiten, wobei der gesamte Prozess von einer kognitiven Kontrollinstanz koordiniert wird. (vgl. Fix, 2008, 36) Folgend eine kurze Beschreibung der drei Subprozesse: (vgl. Kuss, 2012, 14 ff.) Planen: Auf dem Vorwissen basierend werden erste Ideen und Inhalte generiert, die dann strukturiert werden. Zudem wird ein Schreibziel gesetzt, welches ebenfalls zentral für den weiteren Verlauf des Schreibprozesses ist. Formulieren: Damit ist das Umwandeln der Ideen und Inhalte in Sprache gemeint, jedoch ist dieser Vorgang in Wirklichkeit weitaus komplexer, als es das Modell von Hayes Flower vermuten lässt. Überarbeiten: Entstandene Textteile werden gelesen und so einer Prüfung unterzogen, was dann gegebenenfalls zu Textrevisionen führen kann. Jedoch kann es während der Formulierungsphase bereits zu einer Überarbeitung des sogenannten Prätextes kommen, indem noch nicht verschriftlichte Gedanken umstrukturiert, abgeändert oder verworfen werden. Das Model von Hayes Flower wurde trotz seiner weiten Verbreitung in verschiedener Hinsicht kritisiert. Fix (2008, 39) erwähnt beispielsweise die einseitige Ausrichtung des Models auf Schreibexperten. Denn mit dem auf dem Vorwissen aufbauenden, zielgerichteten Ablauf, wird ein topdownVorgehen impliziert. Lernende bzw. Schreibnovizen besitzen aber entsprechende Fähigkeiten im Normalfall noch nicht. Des Weiteren gäbe es Schreibprozesse, die so routiniert ablaufen, dass man sie nicht mehr als Problemlösungsprozesse ansehen könne. Fix erwähnt zudem noch das Modell von Ludwig1 aus dem Jahre 1983, der unter anderem auch die Motivation und die motorischen Prozesse berücksichtigt, was gerade für Schreibnovizen bedeutende Faktoren im Schreibprozess sind. Die genannten Kritikpunkte greift auch Sieber auf und erwähnt zudem noch Ott (2000, zitiert in Sieber, 2003, 213), der die Prozessmodelle grundsätzlich kritisiert, weil sie scheinbar in unnatürlicher Weise immer gradlinig auf ein Ziel fixiert seien. Im Gegensatz dazu plädiert er für eine stärkere Fokussierung auf unterschiedliche Schreibstrategien, um die Vielfalt und Komplexität des Schreibprozesses nicht zu vernachlässigen. Ein weiterer Mangel am Modell von Hayes Flower sei derjenige, dass 1 Das Modell ist im Anhang aufgeführt 5 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Schreiben als linearer Prozess dargestellt würde. Fix (2008, 42 ff.) ist mit dieser Sichtweise nicht einverstanden. Er weist auf die Pfeile im HayesFlowerModell hin, die aufzeigen sollen, dass die verschiedenen Subprozesse mehrfach und in verschiedener Reihenfolge bzw. rekursiv auftreten können. So werden Texte also nicht erst am Ende der Formulierungsphase überarbeitet. In der Planungsphase kann es zum Beispiel zu Anpassung der angestrebten Textgliederung kommen und selbstverständlich sind Revisionshandlungen auch Bestandteil der Formulierungsphase. (vgl. Böttcher BeckerMrotzek, 2009, 103) Anhand dieser Erläuterungen kann somit festgestellt werden, dass das Modell von Hayes Flower den Schreibprozess nicht differenziert genug abbildet und wichtige Faktoren für Lernende ausser Acht lässt. Baurmann Weingarten (1995, 20 ff.) betonen ebenfalls die Komplexität und Vielschichtigkeit des Schreibprozesses und die daraus resultierende Schwierigkeit, alle Faktoren in angemessener Gewichtung in einem Modell abzubilden. (vgl. auch Sieber, 2003, 215) Trotzdem bezog man sich in der Forschung oft auf die Darstellung von Hayes Flower, wie zum Beispiel Fix (2000, 23) in seiner umfassenden empirischen Untersuchung zum Thema Textrevisionen. Fix begründet dies damit, dass Lernende mit den zahlreichen Tätigkeiten und Prozesselementen beim Schreiben oft überfordert sind und deshalb eine Schematisierung des Schreibprozesses sinnvoll ist. Die Schülerinnen und Schüler können sich so auf die einzelnen lernbaren Subprozesse konzentrieren und diese gezielt trainieren. Dieser Ansatz schlug sich in der prozessorientierten Schreibdidaktik nieder, auf welche später in dieser Arbeit noch eingegangen wird. Die Prominenz des HayesFlowerModells beruht wahrscheinlich ein Stück weit auch darauf, dass darin dem Überarbeiten einen besonderen Stellenwert im Schreibprozess zukommt, was vorher in der Linguistik und Sprachdidaktik nicht der Fall war. (vgl. Fix, 2000, 27) Bereiter und Scardamalia (1987, zitiert in Fix, 2008, 36) erläuterten den Überarbeitungsprozess mit dem CDOModell (comparediagnoseoperate) noch detaillierter. Fix (2008, 38) erklärt, dass das Überarbeiten gemäss diesem Modell „aus einem rezeptiven (vergleichen, diagnostizieren) Anteil [besteht], bei dem die im bereits formulierten Text vorliegende semantische Struktur mit dem verglichen wird, was man sich vorgestellt hatte. Falls es dann zwischen der mentalen 6 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Repräsentation des beabsichtigten Textes und derjenigen des vorliegenden Textes Diskrepanzen gibt, kommt es zu einem produktiven Anteil (operate) bzw. wird der eigentliche Überarbeitungsprozess angestossen. Während dieser operativen Phase entscheidet der Schreiber, mit welchen Strategien und konkreten Mitteln der Text abgeändert werden soll (Choose Tactic – vgl. dazu auch die Sprachproben im Kapital 3.3). Anschliessend kommt es dann zur eigentlichen Überarbeitung und zu einem erneuten mentalen Vergleich mit dem intendierten Text. Falls das Resultat dann noch nicht zufriedenstellen ist, folgt nochmals ein Durchlauf der Stationen des CDOModells. (vgl. Kuss, 2012, 35) Abb. 2: CDOModell (Kuss, 2012, 34) Das CDOModell zeigt insbesondere in kognitiver Hinsicht ein paar grundlegende Aspekte zum Überarbeitungsprozess auf. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es sich bei der Darstellung lediglich um ein Modell handelt, das sich bei weitem nicht auf alle Schreiber und Schreibsituationen permanent anwenden lässt. So erwähnt Baurmann (2003, 90) Studien, wonach selbst ältere Lernende ihre Text nur selten überarbeiten. Ebenfalls gilt es zu beachten, dass Lernende während dem Schreibprozess kaum immer eine klare Vorstellung des intendierten Textes haben werden. Laut Fix (2000, 29) kann es bei Überarbeitungen auch zu Textverschlechterungen kommen, wenn das Schreibziel nicht klar ist und sich der Schreiber im Laufe des Schreibprozesses nicht danach ausrichten kann. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit 7 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger werden wir noch genauer auf die Schwierigkeiten eingehen, die Lernende beim Überarbeiten haben können. 2.2 Textüberarbeitungen in der prozessorientierten Schreibdidaktik In der Schreibdidaktik gab es im Laufe der Geschichte zahlreiche verschiedene Ansätze und Methoden. So war bis 1920 der sogenannte gebundene Aufsatzunterricht massgebend, nach welchem klare Formvorgaben für die jeweiligen Textsorten verlangt wurden. Daraus entwickelten sich die traditionellen Aufsatzarten, die noch heute im schulischen Kontext weit verbreitet sind (z.B. Erörterung, Erzählung). Im Laufe der Jahrzehnte gab es immer wieder Gegenbewegungen zum traditionellen Aufsatzunterricht. Nennenswert ist in diesem Zusammenhang die Ausrichtung im Zuge der kommunikativen Wende in den 1970erJahren, wonach sich Schreiber „mit einer echten kommunikativen Absicht an reale Leser wenden (BeckerMrotzek Böttcher, 2006, 22) sollten. Wie Fix (2008, 119) ausführt, hatte die Kognitionspsychologie und die daran anknüpfende linguistische Forschung in den 1990erJahren Auswirkungen auf die Deutschdidaktik. Im Unterschied zu den produktorientierten Sichtweisen fokussierte der neue Ansatz nun das Schreiben als einen Prozess. Ein Aspekt der prozessorientierten Schreibdidaktik ist das Aufteilen des Schreibprozesses in die Phasen Planen, Formulieren und Überarbeiten. Trotz dieser Sequenzierung ist klar, dass der reale Schreibprozess keinesfalls immer strikt in diese separaten, übersichtlichen Einzelteile zerlegt werden kann. Trotzdem macht dies im schulischen Kontext Sinn, da sich die Lernenden so auf einzelne Komponenten konzentrieren können, und die jeweiligen Handlungsweisen immer mehr automatisiert werden. (vgl. Fix, 2000, 341) Dabei kommt dem Überarbeiten eine zentrale Rolle zu, weil dabei „eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen kognitiven Konstruktion (Fix 2008, 120) stattfindet. Das bedeutet u.a., dass sich die Lernenden intensiv mit Formulierungen, Strukturierungen und Inhalten auseinandersetzen und dies bereits bevor der Text niedergeschrieben ist. Zudem können Lernende eher die Leserperspektive einnehmen, wenn der Schreibprozess mehrphasig angelegt ist und ein zeitlicher Abstand zwischen den Etappen besteht. (vgl. Sieber, 2003, 219) Dies ist nicht zuletzt für erfolgreiche Revisionshandlungen ein wesentlicher Faktor, welcher deshalb später in dieser Arbeit nochmals aufgegriffen wird. 8 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Passend zur prozessorientierten Schreibdidaktik hat Fix (2008, 140) das nebenstehende Planungsschema entwickelt. Die Schreibfunktion ist dabei sozusagen die Leitlinie, derer sich ein Schreiber während des gesamten Prozess immer bewusst sein sollte. Es sind damit die Absichten gemeint, die man mit einem Text verfolgt, z.B. „unterhalten, aufrütteln, überzeugen, bitten, darstellen. (Fix, 2008, 27) Nur wenn ein Schreiber sich in diesem Sinne orientieren kann, darf gemäss Fix (2000, 354) eine die Oberflächenstruktur durchdringende Textrevision erwartet werden. Damit die Schüler in diesem Bereich Unterstützung erhalten, soll die Lehrperson die Bedeutung der Schreibfunktion verdeutlichen und kann beispielsweise auch das Schreibziel aufschreiben lassen. (vgl. Fix, 2008, 140) Ist dieser Rahmen einmal klar, kommt es zur Vorbereitungsphase, bei der es u.a. um die Vorwissensaktivierung und Ideengenerierung geht. An die Entwurfsphase schliesst dann die Überarbeitung an, bei der vor allem schwächere Schüler Unterstützung benötigen, damit es schlussendlich tatsächlich zu einer Textoptimierung kommt. Welche Schwierigkeiten dabei konkret auftreten können und wie diesen begegnet werden kann, ist Gegenstand des nächsten Kapitels. Trotz der genannten Vorteile eines in Phasen unterteilten Schreibprozesses betont Fixfür(2008, 141), dass auch diese Herangehensweise Grenzen hat und Abb. 3: Grundmuster prozessorientierte schreibdidaktische UE (Fix, 2008, 140) dass das aufgeführte Planungsraster auf die jeweilige Schreibfunktion hin zu modifizieren ist. Besondere Fälle können etwa Anlässe zum freien Schreiben2 sein, da solche Texte oft gar nicht für einen Leser verfasst werden. Die Voraussetzungen für eine gezielte Textüberarbeitung sind in einem solchen Fall weniger gegeben, als bei angeleiteten Schreibanläsen mit klareren Zielvorgaben. (vgl. Fix, 2000, 326) Zur Konkretisierung des beschriebenen Planungsschemas ist im Anhang ein Beispiel für eine Unterrichtseinheit aufgeführt, das aus dem Buch Texte schreiben von Fix entnommen wurde. (Fix, 2008, 143 f.) 2.3 Erkenntnisse der Revisionsforschung und fachdidaktische Kernpunkte Im aktuellen Lehrplan des Kantons Zürich ist die Überarbeitungskompetenz von Texten explizit als Ziel aufgeführt. (vgl. Lehrplan für die Volksschule des Kt. ZH, 2010, 150 f.) Im Lehrplan 21 bekommt das Überarbeiten dann noch eine bedeutend prominentere Rolle. Es wird gefordert, dass die „Schülerinnen und Schüler lernen, wie sie Ideen finden, den Schreibprozess planen, 2 Fix versteht unter freiem Schreiben den „Verzicht auf die explizite Vorgabe von Textsortennormen (Fix, 2000, 20) 9 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Texte formulieren und diese inhaltlich und sprachformal überarbeiten. (Lehrplan 21, 2015, 6). Die Überarbeitungen sollen sich dabei u.a. am Schreibziel, den Textvorgaben und der Leserperspektive orientieren. Zudem sollen die Schüler in der Lage sein, sich mit anderen über ihre Text auszutauschen, z.B. in Schreibkonferenzen. (vgl. Lehrplan für die Volksschule des Kt. ZH, 2010, 33) Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass der Ansatz der prozessorientierten Didaktik und die Resultate der Revisionsforschung in den Lehrplänen Eingang gefunden haben. In der Praxis scheint sich dies aber noch nicht in dem Masse niedergeschlagen zu haben. Gemäss einer Untersuchung von MerzGrötsch (2001, zitiert in Baurmann, 2013, 90), fordert die Mehrheit der Lehrpersonen von den Lernenden durchaus, dass Texte überarbeitet werden. Dabei spiele aber in erster Linie Rechtschreibung sowie Zeichensetzung eine Rolle, wogegen inhaltliche Aspekte kaum mehr revidiert würden. Zudem wird gemäss dieser Untersuchung das Überarbeiten nie als eigenständige Schreibaufgabe aufgefasst. Obwohl die Durchführung der Studie gut 15 Jahre zurückliegt, zeigen unsere Erfahrungen in der Praxis, dass sich das Bild nicht gross geändert hat. Oftmals wird die Textüberarbeitung auch mit einer einfachen Verbesserung verwechselt, nachdem ein Aufsatz bereits benotet wurde. (vgl. Fix, 2008, 164) Bei ernsthaften Überarbeitungen gibt es aber Zwischenprodukte bzw. mindestens einen Entwurf. Dies ist ein grosser Unterschied im Vergleich zur produktorientierten Aufsatzdidaktik, bei welcher die erste Textfassung auch gleich das Endprodukt ist. Weder Lernende noch Lehrpersonen scheinen also auf das Thema genügend sensibilisiert zu sein und deshalb lohnt es sich, die wichtigen Aspekte zum Bereich des Überarbeitens aufzuzeigen. 2.3.1 Revisionsklassen und handlungen Die Überarbeitungshandlung wurde mit dem CDOModell bereits grob umrissen. Sind einmal Unstimmigkeiten beim Text identifiziert, kann versucht werden, das Problem zu benennen bzw. näher zu bestimmen, bevor es dann zur eigentlichen Revisionshandlung kommt. Daraus ergibt sich das Grundmuster für Revisionshandlungen mit identifizieren, diagnostizieren und revidieren. (vgl. Baurmann, 2013, 96) Beim Revidieren wird dann im Text entweder etwas hinzugefügt, weggelassen oder es kommt zu Umstellungen und/oder Ersetzungen. (vgl. Fix, 2008, 166) Wie eingangs beim Modell von Hayes Flower erwähnt, kann dabei zwischen 10 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Textrevisionen und Prätextrevisionen unterschieden werden. Beim letztgenannten sind die noch nicht niedergeschriebenen Gedanken gemeint, die aber auch schon verglichen, abgeändert oder umstrukturiert werden können. (vgl. Fix, 2000, 31) Um die verschiedenen Arten von Überarbeitungshandlungen besser differenzieren zu können, lohnt sich ein Blick auf die Kategorisierung, die von Baurmann und Ludwig erarbeitet wurde. (1984, Tabelle aus Fix, 2008, 166). Abb. 4: Klassifikation von Revisionen (Baurmann und Ludwig, 1984, zitiert in Fix, 2008, 166) Wie Baurmann (2013, 94) erläutert, bewegen sich die verschiedenen Revisionsarten in der tabellarisch dargestellten Reihenfolge dargestellt von der Oberfläche immer tiefer in die Textstruktur hinein. Zudem seien Nachträge und Korrekturen deutlich einfacher zu bewerkstelligen, als die anderen, tiefergreifenden Revisionen und fänden deshalb auch schon bei Schreibnovizen statt. Dagegen gäbe es aber auch ungeübte Schreiber, die einen Text relativ schnell verwerfen und neu verfassen, jedoch hauptsächlich deshalb, weil ihnen die nötigen 11 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Überarbeitungskompetenzen fehlen oder weil der Respekt für tiefergreifende Texteingriffe zu gross ist. Ohne die nötige Reflexion über den vorangegangenen Schreibversuch münden solche Neufassungen aber kaum in einem besseren Text. In diesem Zusammenhang rät Baurmann (2013, 95), dass sich Lehrpersonen bei Beurteilungen, Randbemerkungen Kommentaren oder Rückmeldungen zu Texten immer klar machen, welche Revisionsart sie von den Lernenden erwarten. 2.3.2 Überarbeitungskompetenz Nebst der Darstellung von Revisionshandlungen und –arten stellt sich auch die Frage, welche Kompetenzen es für eine erfolgreiche Überarbeitung braucht. Wie vorab bereits erwähnt, bilden gemäss Fix (2000, 329) die Schreibfunktion und das Schreibziel die Leitlinie zum gesamten Schreibprozess, an der sich der Schreiber auch beim Überarbeiten ausrichten muss. Daneben nennt er noch vier weitere Komponenten, die zur Überarbeitungskompetenz gehören: (Fix, 2000, 330 ff.) Wissen über Inhalte: Die Textstrukturierung und auch Formulierungen sind vom Inhalt abhängig. Fehlt zu einer Schreibaufgabe das dafür nötige Wissen, sollte die Lehrperson Möglichkeiten zur Wissenserarbeitung geben, z.B. mit Rechercheaufträgen. Wissen über Textmuster als Baupläne für das Schreiben: Dabei geht es um das Wissen, wie bestimmte Textsorten aufgebaut werden können. Solche TextGrundbausteine können gerade in der Überarbeitungsphase eine Hilfestellung sein. Sie sollten aber immer in einem passenden Kontext vermittelt werden, damit die Schüler diese nicht stereotyp anwenden, sondern situationsadäquat. Wissen über das Sprach und Schriftsystem: Textüberarbeitungen dürfen sich auf keinen Fall nur um Fragen der korrekten Orthographie oder Grammatik drehen. Trotzdem sind natürlich auch diese Aspekte bei der Textproduktion zu beachten. Wissen über exekutive Verfahren: Damit ist das Anwenden der oben beschrieben Wissenskomponenten in konkreten Formulierungshandlungen gemeint (vom „knowing that zum „knowing how). Während Überarbeitungsphasen können Schülerinnen und Schüler dafür beispielsweise mit Checklisten oder Proben arbeiten, die später in dieser Arbeit noch beschrieben werden. In diesem Bereich muss aber auch die Lehrperson vor allem bei ungeübten Schreibern Unterstützung bieten. 12 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Auch Jantzen geht auf die Frage nach der Überarbeitungskompetenz ein. (vgl. Jantzen 2003, S. 114 ff.) Er nennt als erstes die Notwendigkeit einer Überarbeitungshaltung, also das Bewusstsein, dass ein Text überhaupt überarbeitet werden kann. Gerade bei Lernenden, die eher mit einem produktorientierten Schreibunterricht Erfahrungen gemacht haben, ist dies nicht selbstverständlich. Zudem erwähnt er die Beurteilungsfähigkeit, was für ihn auch bedeutet, dass Schreiber eine Distanz zum eigenen Text aufbauen und ihn sozusagen aus dem Blickwinkel der Leserperspektive lesen und überarbeiten können. Jantzen geht noch auf weitere Punkte ein, die sich jedoch mit den oben Erwähnten Wissenskomponenten von Fix decken. In den vorangegangenen Ausführungen wurde nun klar, dass Überarbeitung eine anspruchsvolle Aufgabe ist und ein Schreiber einiges an Fähigkeiten braucht, damit es tatsächlich zu Textoptimierungen im Hinblick auf das Schreibziel kommt. Nicht alle Schülerinnen und Schüler sind in dieser Beziehung auf dem gleichen Stand und auch das „Schreibalter 3 hat einen grossen Einfluss auf die jeweilige Überarbeitungskompetenz. So wurde beispielsweise bereits darauf hingewiesen, dass ein Schreiber seinen Text aus der Leserperspektive und mit einer gewissen Distanz beurteilen können muss, um relevante Textstellen zur Überarbeiten eruieren zu können. Gemäss Böttcher und BeckerMrotzek (2009, 44) erlangen Schülerinnen und Schüler diese Fähigkeit erst etwa mit 10 – 14 Jahren, wobei die Altersanhabe nur als grober Richtwert zu verstehen ist. Flower (1986, zitiert in Baurmann, 93) stellte zudem fest, dass unerfahrenere Schreiber noch nicht geplant Texte untersuchen und überarbeiten, sondern zur „Strategie des Entdeckens und Neuschreibens tendieren. Revisionen beschränken sich dabei auf die Textoberfläche oder es kommt zu einer eher unreflektierten Neufassung, weil sie tieferliegende Probleme in ihrem Texten noch gar nicht diagnostizieren können. (vgl. Fix, 2008, 167) Trotzdem hat eine Untersuchung von Fix (2000, 320) zum Thema der Textrevisionen mit Achtklässlern zu grundsätzlich positiven Ergebnissen geführt, da demnach Überarbeitungen insgesamt meistens doch zu Textoptimierungen führen. Fix fügt aber hinzu, dass es den Lernenden oft an „Revisionsstrategien und an exekutiven Fähigkeiten mangelt. Wie man dieser Herausforderung in der Praxis begegnen kann, wird im folgenden Kapitel noch genauer beschrieben. Grundsätzlich müssen sich Lehrkräfte aber immer bewusst sein, dass Überarbeitungskompetenz 3 Schreibalter gem. Sieber (2003, 215): die Summe der Schreiberfahrungen, die zu einem gewissen Zeitpunkt unabhängig vom Alter gemacht worden sind. 13 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger schrittweise aufgebaut wird. Falls Revisionen bei Lernenden in einer frühen Phase also noch nicht gleich zu erkennbaren Textoptimierungen führen, sollte man deswegen den Sinn von Überarbeitungsphasen im Unterricht nicht gleich anzweifeln. PortmannTselikas sieht in diesem Sinne Textüberarbeitungen als „eine längerfristige Entwicklungsaufgabe, die der Ausbildung eines einigermassen differenzierten Urteils über Texte. (PortmannTselikas, 2005, 184) Dennoch ist festzuhalten, dass sich Schülerinnen und Schüler wie erwähnt in ihrer Überarbeitungskompetenz unterscheiden, was eine Differenzierung im Unterricht nötig macht. Die Lehrperson muss dazu die Überarbeitungskompetenz der Lernenden diagnostizieren, um ihnen niveaugerechte Aufgaben, Übungen und Unterstützungsangebote bieten zu können. Eine Hilfe leistet dafür der von Fix (2008, 168) entwickelte Raster zur Klassifikation von Textrevision (siehe Anhang). Zu den bereits genannten didaktischen Gesichtspunkten folgen nun noch abschliessend ein paar Überlegungen im Hinblick darauf, dass Überarbeitungskompetenz schrittweise aufgebaut werden muss. Diesbezüglich empfiehlt Baurmann (2013, 100), zunächst nur gelegentlich Überarbeitungsphasen zu initiieren. Die Lernenden sollen sich dabei auf inhaltliche Aspekte fokussieren. Schrittweise soll das Überarbeiten dann immer mehr fester Bestandteil von Schreibaufgaben werden. In diesem Zusammenhang rät Fix (2008, 181), mit gebundenen, leserorientierten Schreibanlässen zu starten, damit man die daraus entstehenden Textentwürfe an klaren Kriterien beurteilen kann. Den Lernenden wird dabei der Sinn und Erfolg von Überarbeitungen schneller klar, als bei Texten aus freien Schreibanlässe, die viel weniger normiert sind und eher nach persönlichem empfinden bewertet werden. Unserer Meinung nach sind diese empfohlenen Herangehensweisen von Baurmann und Fix richtig, nichtsdestotrotz müssen Lernende aber möglichst früh in Lernarrangements zur Textüberarbeitung eingebunden werden. Denn so wird ihnen von Anfang an bewusst, dass Überarbeiten ein integrativer Bestandteil des Schreibprozesses ist, was dazu führen kann, dass sie später auch ohne explizite Aufforderung entsprechend handeln. Dieses Bewusstsein ist heutzutage bei vielen Lernenden nicht vorhanden, weil sie zu sehr vom traditionellen Aufsatzunterricht geprägt sind, bei dem sich Schreibanlässe selten über mehrere Phasen mit Entwürfen als Zwischenprodukten erstrecken. 14 Deutschdidaktik Abschlussarbeit 3 DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Faktoren für die Umsetzung im Unterricht Die folgenden Abschnitte liefern nun mit konkreten Methoden und Vorgehensweisen einen Überblick dazu, wie die Revisionskompetenz im Unterricht erarbeitet und gefestigt werden kann. 3.1 Äussere und formale Hilfestellungen Es klingt banal, erleichtert aber das Arbeiten ungemein: Schüler sollen auf Blätter mit einem breiten Rand und genug grossem Zeilenabstand schreiben. (vgl. Barumann, 2013, 100). Die Motivation einen Text zu überarbeiten sinkt automatisch, wenn man kaum Platz hat, Änderungen überhaupt anzubringen oder Anmerkungen zu machen. Zudem werden bei Missachtung dieser Vorgabe Schülerarbeiten schnell unstrukturiert und sind schwer zu entziffern, was den Aufwand für die Lehrperson massiv erhöht. Pleninger (1996, 137 ff.) ging auf Thematik ein und erwähnte schon 1996 den Computer als Hilfsmittel zum Schreiben bzw. Überarbeiten. In den Textverarbeitungsprogrammen können Kommentare einfach und übersichtlich dem Text hinzugefügt werden und Textänderungen und –anpassungen können sehr einfach implementiert werden. Damit die Änderungen dabei nachverfolgt werden können, bietet es sich an, die verschiedenen Textversionen bzw. Entwürfe separat abzuspeichern. Trotz all den auf der Hand liegenden Vorteilen erwähnt Baurmann, dass es bei Überarbeitungen am PC offensichtlich zu „weniger Prätextrevisionen [kommt,] als beim StiftPapierSchreiben. (Baurmann, 2013, 91) Dafür habe man jedoch festgestellt, dass die Textkohärenz durch das Schreiben auf dem Computer zunimmt. Unserer Ansicht nach ist der Computer für Schreibanlässe in der Schule unbedingt zu nutzen. Es braucht aber eine gesunde Balance und handschriftlich verfasste Texte sollten selbstverständlich weiterhin Bestandteil des Schreibunterrichts bleiben. Schliesslich sind noch nicht alle Sekundarschüler/innen geübte Tastaturschreiber, die Schulen bieten möglicherweise noch keine optimale Infrastruktur und wie erwähnt findet bei handschriftlich erzeugten Texten möglicherweise ein tiefergehender gedanklicher Prozess statt, bevor die Inhalte verschriftlicht werden. Als Lehrperson kann man die Lernenden beim Überarbeiten noch mit einer weiteren, eher organisatorischen Massnahme unterstützen und zwar indem man ihnen für Schreibaufgaben genügend Zeit einräumt. In Österreich ist in dieser Hinsicht die „ZweiPhasenSchularbeit 15 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger aufgekommen, bei die Lehrperson die Texte für einige Tage einzieht und später den Lernenden nochmals unkorrigiert zur Weiterarbeit austeilt. (vgl. PortmannTselikas, 2005, 179) Dieses Verfahren hilft den Schülern, ihren Text mit der nötigen Distanz zu lesen und zu überarbeiten. Muss alles in einem Zug geschrieben werden, fehlt oft das Auge für gewisse Unzulänglichkeiten, insbesondere für solche mit Bezug auf die Leserperspektive. 3.2 Methoden und Verfahren Lernende können ihre Texte mit einer Checkliste überprüfen, die beispielsweise mit Leitfragen auf wichtige Kriterien wie Gesamteindruck, Aufbau, sprachliche Richtigkeit etc. hinweist. (vgl. Fix, 2008, 178 f.) Je nach Textsorte kann es nötig sein, die Elemente einer solchen Checkliste anzupassen oder verschieden zu gewichten. Ein Text eines Lernenden kann auch von der Lehrperson oder anderen Schülerinnen und Schülern anhand der Checkliste geprüft werden. Gerade jüngere Schreiber/innen sind beim beurteilen fremder Text oft erfolgreicher, weil sie ihn aus der Leserperspektive betrachten. Zudem ist auch geübteren Schreibern bekannt, dass man für die eigenen Fehler oft blind ist. Findet der/die Leser/in eine überarbeitungswürdige Stelle im Text, kann diese mit einer Nummer versehen werden. Dieselbe Nummer wird dann auf der Checkliste zum passenden Kriterium hingeschrieben. Ideal ist es, wenn es zusätzlich noch Übungsmaterial gibt, das passend mit denselben Nummern versehen ist. (Fix, 2008, 180. Eine von ihm entwickelte Checkliste sowie eine Wortfeldkarte als Übungsinstrument sind im Anhang zu finden. Eine weitere Liste mit leitenden Überarbeitungsfragen findet sich im Werkbuch des Lehrmittels Sprachwelt Deutsch, S. 100101.) Checklisten wie oben beschrieben können Schülerinnen und Schüler zur individuellen Überarbeitung ihrer Text nutzen. Daneben gibt es aber auch zahlreiche kooperative Verfahren, bei denen ein Lernender von Mitschülern ein Feedback erhält. Solche Methoden bieten zahlreiche Vorteile, weil Peerfeedbacks für Jugendliche verständlicher sein können und manchmal besser akzeptiert werden, als der quasi von oben herabkommende Lehrerkommentar. (vgl. PortmannTselikas, 2005, 180) Zudem spielt bei solchen Settings natürlich auch wieder die Fremdleserperspektive der anderen Lernenden eine positive Rolle. Werden Textideen schon vor der Niederschrift in Gruppen diskutiert, kann dies ausserdem zur Überarbeitung von Prätexten führen und den darauffolgenden Schreibprozess positiv beeinflussen. (vgl. Fix, 2000, 32) 16 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Selbstverständlich haben diese Methoden auch Grenzen und die Lernenden sind nicht automatisch fähig, Texte konstruktiv zu beurteilen. An dieser Stelle soll aber nicht weiter auf diese Thematik eingegangen werden, da im nächsten Kapitel mit der Schreibkonferenz ein kooperatives Verfahren ausführlich beschrieben wird. Böttcher und Becker Mrotzek (2009, 110) empfehlen für die Praxis zudem, Mustertexte zur Beurteilung und zum Überarbeiten zur Verfügung zu stellen, in denen typische Probleme integriert sind. Die Lernenden können so ihre TextbeurteilungsKompetenzen unter Anleitung der Lehrperson trainieren und werden so immer besser fähig, selbständig Text nach relevanten Kriterien zu kommentieren. 3.3 Exekutive Verfahren – die Überarbeitungsproben „Es ist [] frustrierend, wenn Schüler [] diese Diskrepanzen [im Text] erkennen, sie aber wegen fehlenden Handlungswissens nicht ändern können. (Fix, 2000, 338) Diese Aussage zeigt deutlich, dass man den Lernenden Wege aufzeigen muss, wie sie zu alternativen Formulierungen kommen. Baurmann (2013, 111) nennt als Unterstützungsmöglichkeit sogenannte Sprachproben, von denen wir hier drei exemplarisch aufführen: Klangprobe: Formulierungsalternativen werden laut gelesen, dann wird intuitiv entschieden, welche besser klingt. Die Schwierigkeit dabei ist, dass bereits ein gewisser Grad an Sprachbewusstheit vorhanden sein muss. (Fix, 2008, 172) Die Verschiebeprobe: Es können z.B. Satzglieder umgestellt werden, damit nicht immer in monotoner Art und Weise mit dem Subjekt begonnen wird. Die Ersatzprobe, um passendere Ausdrücke zu finden. (Ich ging nach Hause Ich schlenderte nach Hause) Es gibt noch weitere solcher Sprachproben und Übungsmaterial, dass Lernende beim Formulieren unterstützt. Sicherlich ist es sinnvoll, wenn man als Lehrperson den Lernenden eine breite Auswahlmöglichkeit an Materialien und Strategien zur Verfügung stellen kann, die sie bei Bedarf gezielt nutzen können. Das Werkbuch des Lehrmittels Sprachwelt Deutsch bietet auf den Seiten 104 – 107 noch weitere übersichtlich dargestellte Überarbeitungsproben. Auf den Seiten 80 – 90 im selben Buch sind zu verschiedenen Textsorten spezifische Formulierungshilfen mit 17 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Tipps und Leitfragen aufgeführt. Des Weiteren bietet der Verlag SekZH ein Übungsheft an, mit dem zahlreiche Sprachproben trainiert und gefestigt werden können.4 Vor allem bei schwächeren Schreibern und wenn es um tiefergreifende Überarbeitungshandlungen geht, muss trotz aller möglicher Hilfsmittel die Lehrperson oder andere Peers Unterstützung bieten, dazu mehr im nächsten Abschnitt. 3.4 Die Rolle der Lehrperson Die Lehrperson soll für den Lernenden eine Art „Geburtshelfer beim Schreibprozess sein. (vgl. Fix, 2004, 128) Damit ist gemeint, dass die Lehrkraft Hinweise gibt, z.B. in Form einer Frage, die dem Lernenden Anhaltspunkte für das Entwickeln einer eigenen Formulierung liefern. Diese Tipps müssen so konkret sein, dass der Schreiber daraus eine Handlung ableiten kann. Die Lösung darf aber auch nicht auf dem Tablett serviert werden, da sonst die Gefahr besteht, dass sie von Schülerinnen und Schüler einfach unreflektiert übernommen wird. (vgl. Fix, 2008, 189) Als Lehrperson muss man sich zwingend mit den Schülertexten auseinandersetzen und mit den Lernenden in einen Dialog über das Geschriebene treten. Die Schüler fühlen sich so ernst genommen und sind eher motiviert, sich weiter mit ihrem Text auseinanderzusetzen bzw. diesen zu überarbeiten. (vgl. Baurmann, 2013, 116 ff.) Fix (2004, 130) schlägt zudem eine Systematik für Randnotizen vor. Diese sollen nicht einfach auf Fehler hinweisen, sondern zu Überarbeitungshandlungen anregen. Er erwähnt dabei das „UWEPrinzip, bei dem die drei Buchstaben dem Lernenden den Handlungsweg aufzeigen: Hier sollte etwas umgestellt oder ersetzt werden Hier kann etwas weggelassen werden Hier sollte etwas ergänzt werden Es ist klar, dass dieses System alleine nicht ausreicht. Fix (2008, 173) erwähnt deshalb auch noch Randzeichen, die auf Übungsmaterial aufmerksam machen. Weitere Methoden, die den Austausch zwischen Schüler und Lehrperson fördern, sollten in der Klasse etabliert werden, wie beispielsweise sogenannte Rückfragekarten. Haben Schüler ein Formulierungsproblem, können sie dieses mit den dafür nötige Angaben auf einer Karte beschreiben und dem Lehrer abgeben, 4 Abenteuer auf hoher See. Texte schreiben – Texte überarbeiten. Verlag SekZH, 2010, 8135 Langnau a. 18 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger der dann den Schülern Hinweise zu möglichen Lösungen vorschlägt. (vgl. Fix, 2008, 174 – ein Beispiel einer solchen Karte ist im Anhang) 3.5 Beurteilung und Bewertung Es ist eine grosse Herausforderung, wie man im prozessorientierten Schreibunterricht auch die Überarbeitungsphase bei der Bewertung berücksichtigen kann. Zunächst gilt es einmal festzuhalten, dass Lernende regelmässig im Sinne einer fördernden Beurteilung ein Feedback erhalten. (vgl. Baurmann, 2013, 116 ff.) Trotzdem müssen im schulischen Kontext Noten gemacht werden. Fix (2000, 350) macht dazu einen Vorschlag mit einem mehrstufigen Prüfungsansatz. Vor der eigentlichen Prüfung hätten die Lernenden eine Vorbereitungsphase, um sich u.a. Informationen zum Thema des bevorstehenden Schreibanlasses zu beschaffen. In einer darauf folgenden Phase käme der Prüfungsteil, während dem ein Textentwurf verfasst werden muss. Die Entwürfe werden dann eingesammelt und mehrere Tage später würde der zweite Prüfungsteil mit der Textendfassung folgen. Eine weitere interessante Möglichkeit sind Portfolios. Gemeint ist damit, dass Schülerinnen und Schüler selbst ausgewählte Arbeiten in einer Mappe zusammenstellen. Darin können nebst Endfassungen auch Entwürfe enthalten sein, die etwas zum durchgemachten Prozess aussagen. (vgl. Fix, 2008, 193) Trotz dieser Ideen ist unserer Meinung nach die summative Bewertung der Überarbeitungskompetenz ein Gebiet, in dem es noch an befriedigenden Lösungen fehlt. In diesem Kapitel wurden wichtige und konkrete Aspekte zum Thema Überarbeiten im Unterricht angesprochen und dargelegt. Zur Sprache kamen u.a. auch kooperative Arrangements, welche die Lernenden für die Textrevision unterstützten sollen. Oft genannt wird in diesem Zusammenhang die Schreibkonferenz, die wie schon erwähnt auch im Lehrplan 21 als Instrument zur Textüberarbeitung vorgeschlagen wird. Aus diesem Grund befassen wir uns im folgenden Kapitel eingehender mit dieser Methode. 19 Deutschdidaktik Abschlussarbeit 4 DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Schreibkonferenz als kooperative Methode zur Textüberarbeitung Das Konzept der Schreibkonferenz hat seine Anfänge in den 1980er Jahren. Donald H. Graves, ein britischer Grundschullehrer, entwickelte zu dieser Zeit zusammen mit einer Lehrer und Forschergruppe die sogenannte „Writing Conference. Das prozessorientierte Modell der Schreibkonferenz war ein neues Konzept, welches Graves aufgrund Beobachtungen im Grundschulunterricht entwickelte. Es sollte unter anderem eine Antwort auf das dem schulischen Kontext geschuldete „Verlernen des zweckungebunden, unbeschwerten Schreibens sein. (vgl. Necknig, 2012, 67) In Deutschland wurde das Modell der Schreibkonferenz von Gudrun Spitta aufgenommen und weiterentwickelt. Auch sie beschreibt die Methode für Grundschulklassen, jedoch beschränkt sich das Konzept in der gängigen Praxis keinesfalls auf die Primarschule. Auch wir haben in unseren Praktika die Erfahrung gemacht, dass Schreibkonferenzen für Sekundarschüler eine lohnenswerte Methode darstellen, insbesondere wenn es darum geht, ein Bewusstsein für das Überarbeiten von Texten zu schaffen. Wie wir weiter unten noch ausführen werden, bedarf es aber auch in der Sekundarschule einer schrittweisen Einführung dieser Methodik, andernfalls wären die meisten Schüler überfordert und die Ergebnisse unbefriedigend. Der Ablauf der Schreibkonferenz wird im Werkbuch von Sprachwelt Deutsch folgendermassen beschrieben: Abb. 5: Ablauf Schreibkonferenz (Werkbuch SWD, 108) 20 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Beim weit verbreiteten SchreibkonferenzModell nach Spitta (Spitta, 1992, 43) ist zusätzlich noch die sogenannte Endreaktion bzw. die Endkorrektur durch die Lehrperson sowie eine Veröffentlichung des Textes vorgesehen. Diese Veröffentlichung oder Präsentation des Textes kann z.B. in Form einer Dichterlesung umgesetzt werden. Wir erachten diesen Schlussschritt als lohnenswert, da die Schülerarbeiten so mehr wertgeschätzt werden und die Motivation für das Überarbeiten steigt. Grundsätzlich geht es bei der Schreibkonferenz also um einen kooperativen Ansatz, bei welchem die Lernenden Texte aufgrund von Rückmeldungen von Mitschüler/innen schrittweise überarbeiten. Konkret setzen sich die Lernenden in Gruppen von höchstens vier Personen intensiv mit einem Text auseinander und weisen den Autor auf Schwachstellen oder Auffälligkeiten hin. Idealerweise folgen dieser Diagnose auch Lösungsvorschläge, bei denen es dem Autor freisteht, sie schlussendlich umzusetzen. Der Autor hat später ebenfalls die Aufgabe, Texte der anderen Gruppenmitglieder kritisch zu beurteilen. Während des Prozesses nehmen die Lernenden also einerseits die Rolle des Schreibers (Produzent) und andererseits die eines Helfers (Rezipient) ein. 4.1 Die Schreibkonferenz im Lehrmittel Sprachwelt Deutsch Als Lehrmittel, welches das Thema Schreibkonferenzen für die Sekundarschule behandelt, hat sich Sprachwelt Deutsch bewährt. Auf den Bereich der Textüberarbeitung als Bestandteil des Schreibprozesses wird mit engeren, offeneren, individuellen und kooperativen Strategien eigegangen. Im Werkbuch werden die einzelnen Schritte der Schreibkonferenz aufgeführt und zusätzlich erhalten die Lernenden Hilfestellungen durch Überarbeitungsfragen sowie einer Kriterienliste. Ein zielführender Einsatz dieser Überarbeitungsfragen und der Kriterienliste bedingt aber, dass deren Punkte und Einsatzmöglichkeiten mit der Klasse besprochen werden. Wie bereits erwähnt lässt sich eine Schreibkonferenz in einer Sekundarschule aber nicht ohne Vorbereitung bzw. Hinführung erfolgsversprechend durchführen. Es ist zudem ratsam die Durchführungsangaben in Sprachweltdeutsch noch mit weiteren Hilfsmitteln zu unterstützen. Sinnvoll sind z.B. die bereits erwähnten Rückfragekarten (siehe auch Beschreibung Kap. 3.4 und Anhang). Dabei handelt es sich um Karteikarten, auf welche die Lernenden Formulierungsprobleme schreiben, die sie selbst nicht beantworten können. Diese Probleme 21 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger bzw. Fragen auf den Karten können in einem nächsten Schritt von einem Experten geklärt werden. (vgl. Fix, 2008, 173 ff.) Dieser Experte ist im Normallfall der Lehrer, es ist aber auch denkbar, dass es sich um einen anderen Schüler/in z.B. von einer höheren Klasse/Niveaustufe handelt. 4.2 Chancen und Perspektiven für den Unterricht Es gibt eine Reihe von Gründen, die für das Konzept der Schreibkonferenz im Unterricht der Sekundarstufe 1 sprechen. Zum einen bietet das Lernarrangement für die Überarbeitung von Texten eine grosse Motivationsbasis, da die Leserinnen und Leser bekannt sind. Ein ganz entscheidender motivationaler Aspekt ist, dass der Schreibzweck eher klar ist, welcher sich aus der Art der Veröffentlichung der fertigen Manuskripte ergibt. Das Schreiben wird so zu einer sinnhaften Tätigkeit, da trotz dem starken Fokus auf den Schreibprozess das Produkt schlussendlich entsprechend gewürdigt wird. (Reuschling 1996, 2000, 7) Die für das Überarbeiten notwendige Sicht auf den Text ist eigenen Texten gegenüber schwierig, auch wenn zwischen Entwurf und Überarbeitung ein bis zwei Tage Zeit liegen. Denn wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführt, fällt die Untersuchung des eigenen Textes aus der Leserperspektive vielen Lernenden schwer. Es ist daher hilfreich, dass in der Schreibkonferenz zunächst der fremde Blick von Zuhörenden/Lesenden eingebracht wird. Dies erleichtert die Entwicklung der Fähigkeit, auch die eigenen Texte einem kontrollierenden Lesen zu unterziehen. (vgl. Baurmann, 1996, zitiert in Reuschling, 2000, 7) Schreibkonferenzen haben also das Potential, Strategien zur Überarbeitung von Texten, hin zu einer selbstreflexiven Haltung zu entwickeln und zu fördern. Diese Haltung ermöglicht es den Jugendlichen, mit ihren Texten in einen inneren Dialog treten zu können, um zu prüfen, ob ihr Text auch tatsächlich das, was ihnen am Herzen liegt, verständlich und in einer sprachlich angemessener Art und Weise vermittelt. (vgl. Spitta, 1993, zitiert in Reuschling, 2000, 7) Offenbar sind Schreibkonferenzen also eine besonders geeignete Methode, um die kommunikative Struktur von Texten zu verbessern. (BrakelOlson, 1990, zitiert in Reuschling, 2000, 6) Diese Erkenntnis ist mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass Kinder als Lesende/Hörende mehr Textbewusstsein aktualisieren können, als wenn sie sich als 22 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Schreibende mitten im Prozess befinden. Die Anwesenheit konkreter Zuhörer erleichtert also die Integration der Leserperspektive in den geschriebenen Text. (vgl. Feilke, 1993, zitiert in Reuschling, 2000, 6) 4.3 Herausforderungen, Gefahren und Grenzen von Schreibkonferenzen Die oben erwähnte These der Schreibforschung, dass Schülerinnen und Schüler in der Rolle des Lesers/Hörers textuelle Probleme besser erkennen als in der Schreiberrolle, kann gemäss der Untersuchungen von Martin Fix nur quantitativ bestätigt werden. (vgl. Fix, 2004, 317) Die Helfer würden zwar mehr entdecken als die Autoren alleine, damit sei jedoch erst ein kleiner Fortschritt bei der Problemerkennung erreicht. Offensichtlich fehlt den Ratgebern noch die Fähigkeit, das ungute Gefühl zu verbalisieren; eine Aussage wie „das klingt komisch hilft dem Autor wenig. Dies betrifft in noch stärkerem Ausmass schriftsprachlich schwache Schülerinnen und Schüler, die den metasprachlichen Anforderungen nicht gewachsen sind. Solche Schülerinnen und Schüler laufen umgekehrt sogar Gefahr, Vorschläge zu übernehmen, wenn diese falsch sind. Zudem setzen dominante Lernende ihre Überarbeitungsvorschläge tendenziell unabhängig von der Qualität durch, während stille Schülerinnen und Schüler kaum in das Gespräch eingreifen, obwohl sie bessere Vorschläge einbringen könnten. (vgl. zu diesen Ausführungen die Untersuchung von Fix zum Thema Textrevisionen aus dem Jahr 2000, 2004, 317) Tatsächlich relativiert Martin Fix in seinen Untersuchungen zur Schreibkonferenz die Möglichkeiten für das Überarbeiten von Texten mit dieser Methodik ziemlich stark. Schreibkonferenzen würden zwar die Sensibilisierung für Textgestaltungsprobleme fördern, sie helfen Lernenden zunächst jedoch wenig bei der Wahl von Revisionsstrategien und der Realisierung von konkreten Revisionshandlungen. Fix sieht das Potential der Schreibkonferenz folglich eher im Aufbau von Sprachbewusstsein und weniger für tiefergreifende Textüberarbeitung. (Fix, 2004, 317) Auch unsere eigenen unterrichtspraktischen Erfahrungen haben gezeigt, dass die Anforderungen von Schreibkonferenzen besonders für ungeübte Schreiber nicht zu unterschätzen sind. Dies gilt auch für SekASchülerinnen und Schüler, in besonderen Masse aber natürlich für DAZ 23 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Schülerinnen und Schüler sowie für Jugendliche in B und CKlassen. Die Anforderungen, die eine Schreibkonferenz an die Lernenden stellt, fasst Marin Fix folgendermassen zusammen: Schreiber (Produzent) Helfer bzw. Leser/Hörer (Rezipient) Fähigkeit zum Vorlesen und Präsentieren des Geschriebenen. Fähigkeit zur Rezeption eines mündlich vorgetragenen schriftlichen Textes Fähigkeit zur Metakommunikation; Voraussetzung ist die Fähigkeit zur Distanzierung vom eigenen Text Fähigkeit, sich der Kritik von anderen auszusetzen und die Beziehungsebene zugunsten der Inhaltsebene weitestgehend auszuklammern (was allerdings kaum möglich ist) Fähigkeit, sich vor einer Gruppe von Hörern als einzelner Sprecher zu behaupten und den Mut aufzubringen, auf seinem Entwurf zu bestehen, wenn man die Änderungsvorschläge als nicht sinnvoll erachtet. Fähigkeit, zur Einschätzung der Qualität des Textes (Evaluation und Problemerkennung) hinsichtlich der Angemessenheit zur Schreibaufgabe (Lesererwartungen in Bezug auf Kohärenz, sprachliche Konventionen usw.) Fähigkeit zur Metakommunikation Fähigkeit, bei Beurteilung eines Textes die Beziehung zum Schreiber von der Sachebene zu trennen und Kritik bzw. eventuelle Instruktionen konstruktiv zu formulieren (und die „Macht, bewerten zu dürfen, nicht schulmeisterlich missbrauchen) Fähigkeit, die Vorschläge der Mitschüler/innen zu klassifizieren (als sinnvoll oder nicht) und daraus geeignete Revisionsstrategien abzuleiten. Abb. 6: Beispiele für Anforderungen in der Gesprächssituation Schreibkonferenz (Tabelle aus Fix, 2008, 177) Was sind nun die Konsequenzen für die Einführung der Schreibkonferenz in der Sekundarschule, aufgrund dieser vielfältigen Anforderungen? Diese Frage soll im folgenden Abschnitt unter Berücksichtigung unserer eigenen praktischen Erfahrungen beantwortet werden. 4.4 Praktische Konsequenzen für den Unterricht Aufgrund der hohen Anforderungen die Schreibkonferenzen an die Lernenden stellen, ist eine schrittweise Heranführung an diese Methode unumgänglich. Das Ziel einer möglichst selbständigen Durchführung der Schreibkonferenz muss langfristig angestrebt werden. Es geht von einer sehr stark gelenkten Heranführungsphase, hin zum selbständigen Entscheid des 24 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Lernenden, welche Textüberarbeitungsmethode für den jeweiligen Entwurf am geeignetsten ist. Das folgend von uns erstellte Phasenmodell sollen Lehrpersonen als grobe Richtschnur zur schrittweisen Implementierung von Schreibkonferenzen nutzen können: Phasen zur Einführung der Schreibkonferenz Phase 1, Heranführungsphase Gemeinsames Nachdenken (Kreisgespräche) über den Schreibprozess bei Erwachsenen bzw. Schriftstellern. (Spitta, 1992, 44) Besprechung konkreter Beispiele von Manuskripten mit sichtbarer Überarbeitung (Streichungen und Ergänzungen etc.) (Spitta, 1992, 44) Training der Sozialkompetenz (IchBotschaften, konstruktives Feedback, Gesprächsregeln) Unterrichtseinheit zum Thema Überarbeiten in SWD (26a Überarbeitungsfragen, 26b Sätze) Einführung der Textlupe als weniger offene Methode (Zuerst Durchführung anhand eines Beispieltextes mit der ganzen Klasse) Phase 2, Eingewöhnungsphase Explizite Instruktion zu Schreibkonferenzen (Ablauf, Sinn, Ziel) Mit Klasse das Verfahren einer Schreibkonferenz durchspielen Schreibkonferenzen anhand von exemplarischen Fremdtexten (von SuS der gleichen Stufe) trainieren. Anschliessend Vergleichen und Besprechen der Ergebnisse im Plenum Durchführung von ersten Schreibkonferenzen mit starker Lehrerbeteiligung (Spezialkonferenzen) unter Einbezug von Hilfsmitteln (Überarbeitungsproben, Checklisten, Rückfragekarten, etc.) Phase 3, vermehrt autonome Phase Durchführung von Schreibkonferenzen mit reduzierter Lehrerbeteiligung Durchführung von Schreibkonferenzen ohne Lehrerbeteiligung mit anschliessender Feedbackrunde SuS entscheiden sich selbständig welche Methode sie zur Textüberarbeitung wählen (individuelle Methoden oder kooperative, wie z.B. Schreibkonferenz, Textlupe etc.) bzw.in welchem Ausmass der jeweilige Entwurf überhaupt einer Überarbeitung bedarf. Abb. 7 Phasen zur Einführung der Schreibkonferenz. Entworfen von A. T. Bechtiger, 2016 Anmerkungen 25 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Die Phase 1 hat das Ziel, ein Bewusstsein für das Überarbeiten von Texten bei den Lernenden zu schaffen. Zudem sollen Kompetenzen trainiert werden, die für einen sinnvollen Einsatz von Schreibkonferenzen entscheidend sind. Das zuerst erwähnte Klassengespräch darüber, wie wohl Erwachsene, insbesondere Schriftsteller ihre Texte und Bücher schreiben, kann als Einstieg in die Thematik der Textüberarbeitung gesehen werden. Die Lernenden sind oft noch der Ansicht, dass „Profis ihre Texte einfach so hinschreiben. Die Lehrperson soll den Lernenden daher bewusst machen, dass Schriftsteller ihre erste Fassung meistens gar nicht als „fertig betrachten, sondern sie häufig Freunden vorlesen, um dadurch neue Ideen und Hinweise zu bekommen, wie sie ihre Geschichte noch klarer, spannender oder lustiger schreiben zu können. In einem nächsten Schritt kann eine mit Streichungen und Ergänzungen bearbeitete Manuskriptseite mit den Lernenden besprochen werden. (Spitta, 1992, zitiert in Necknig, 2012, 7475) In der Phase 2 sollen die Lernenden die Schreibkonferenz an sich kennen lernen. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit dem Ablauf, der Organisation und dem Ziel einer Schreibkonferenz vertraut werden und erkennen, welche Rückmeldungen konstruktiv und für ihre Textrevision geeignet sind. Ein wichtiger motivationaler Aspekt ist zudem, dass die Lernenden schlussendlich ihre Texte veröffentlichen bzw. präsentieren können. Die Jugendlichen sehen z.B. durch eine Art Dichterlesung am Ende des Prozesses, wohin die „Reise geht. Diese Herausforderung oder Belohnung verleiht dem ganzen Prozess für die Schülerinnen und Schüler mehr Relevanz bzw. Sinn, was sich schlussendlich auch positiv auf die Motivation zur Textüberarbeitung auswirkt. In der Phase 3 sollen die Lernenden schlussendlich Schreibkonferenzen ohne Lehrerbeteiligung durchführen können. Sie sollen dabei je nach Bedarf immer noch auf Hilfsmittel wie Checklisten oder Überarbeitungsproben etc. zurückgreifen können. Wichtig ist nun aber die selbständige Entscheidung für die jeweiligen Hilfsmittel und später auch für die geeignetste Überarbeitungsmethode, je nach Text, Situation oder Lerntyp. Zudem soll die Überarbeitung immer mehr als natürlicher Bestandteil des Schreibprozesses verstanden werden, obwohl es natürlich gerade auch alltagsbezogene Texte gibt, die so routiniert durchgeführt werden, dass sie nicht einer Überarbeitung unterzogen werden müssen. (vgl. Sieber, 2003, 2015) 26 Deutschdidaktik Abschlussarbeit 5 DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Fazit Während dem Studium der Lektüre zum Thema und beim Erstellen der Arbeit, konnten wir unser Wissen zum Thema Überarbeiten vertiefen. Folgend eine Auflistung unserer wichtigsten Erkenntnisse, und den daraus folgenden Konsequenzen: Die Aufteilung des Schreibprozesses in die Phasen Planen, Formulieren und Überarbeiten macht Sinn, da die Schülerinnen und Schüler so vom komplexen Schreibprozess nicht überfordert werden und gezielt spezifische Kompetenzen aufbauen können. Trotzdem sollte eine Lehrperson den Lernenden vermitteln, dass ein natürlicher Schreibprozess nicht immer auf diese lineare Weise abläuft und dass es natürlich auch Texte gibt, die wir im Alltag keiner Überarbeitung unterziehen. Die Überarbeitungsphase sollte in schulischen Schreibanlässen einen besonderen Stellenwert bekommen, wie das bereits in den Lehrplänen vorgesehen ist. Deshalb ist für diese Phase genügend Zeit einzuplanen. Texte sollten gelegentlich eingezogen werden und einige Tage später zur Weiterarbeit wieder ausgeteilt werden. Die Überarbeitungskompetenz der Lernenden muss gezielt und schrittweise aufgebaut werden. Wie ein „Geburtshelfer soll die Lehrperson die nötige Unterstützung bieten, damit die Lernenden durch Eigenleistung immer erfolgreicher ihre Texte überarbeiten können. Dafür muss die Lehrperson die Überarbeitungskompetenz der Schülerinnen und Schüler diagnostizieren bzw. einschätzen können, damit er sich mit seiner förderorientieren Unterstützung in der Zone der proximalen Entwicklung des Jugendlichen bewegen kann. In diesem Sinne lohnt sich vor allem in einer frühen Phase die Arbeit mit Mustertexten. Guter Deutschunterricht bietet den Schülerinnen und Schüler verschiedene Überarbeitungsmethoden. Der Lehrer muss die Lernenden schrittweise in individuelle und kooperative Verfahren einführen, damit sie später selbständig den für sie besten Weg für Textrevisionen wählen können. Es braucht auch einen Katalog an Übungsmöglichkeiten für exekutive Verfahren, damit die Schülerinnen und Schüler nicht einfach bei der Problemdiagnose stecken bleiben. Sinnvolle Methoden bietet dafür das Werkbuch des Lehrmittels Sprachwelt Deutsch. Als Ergänzung können die vorgestellten Materialien von 27 Deutschdidaktik Abschlussarbeit DE S230 Adrian Thomas Bechtiger Martin Fix in Erwägung gezogen werden. (In Fix, 2008, Texte schreiben, Schreibprozesse im Deutschunterricht) Der Computer bietet diverse Vorteile, wenn es um das Überarbeiten von Texten geht. Deshalb ist er als Instrument bei Schreibanlässen zu nutzen, ohne aber dabei handschriftlich verfasste Texte zu vernachlässigen, da sich Lernende dabei intensiver mit ihren Prätexten auseinandersetzen. Der Einbezug der Überarbeitungsphase in eine summative Bewertung ist schwierig. Portfolios oder der mehrstufige Prüfungsansatz scheinen uns vielversprechend. Um darin Sicherheit zu erlangen, müssten wir dies jedoch zuerst in der Praxis erproben können. Durch Schreibkonferenzen lernen Schülerinnen und Schüler eine reflexive Haltung zu eigenen Texten einzunehmen. Textoptimierungen sind zwar nicht immer das Resultat aber Schreibkonferenzen bieten trotzdem einen Weg, um das Sprachbewusstsein der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Es bedarf einer schrittweisen, zu Anfang stärker gelenkten Heranführungsweise an Schreibkonferenzen, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern. Mit der Zeit sollte man den Lernenden immer mehr Freiraum bei den Schreibkonferenzen gewähren. Vor allem in einer frühen Phase brauchen die Lernenden währen den Schreibkonferenzen die Unterstützung von Hilfsmitteln wie z.B. gesprächslenkende Checklisten mit Leitfragen, passend zur Textsorte. Schülerinnen und Schüler brauchen ein Training der Sozialkompetenzen (u.a. Gesprächs u