Arbeitsblatt: Musik
Material-Details
Childish Gambino
Musik
Musik / Bewegung
8. Schuljahr
4 Seiten
Statistik
203765
481
2
07.11.2022
Autor/in
Joel Stuber
Land: Schweiz
Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
SPECIAL Matthias Rheinländer Is this America? Childish Gambino setzt mit seinem Song „This Is America ein Ausrufungszeichen hinter aktuelle Gesellschaftskritik in den USA. Ein brisantes Thema für den Unterricht der Oberstufe. Der Autor nähert sich dem Song aus zwei verschiedenen Perspektiven. 5 6 7 8 9 10 11 12 13 4 Doppelstunden M1 This Is America M2 Musik und Bildsprache M3 Bilder Musikvideo HB11 This Is America 48 MUSIK UNTERRICHT 132/2018 Amerika – das war über lange Zeit für viele Menschen das gelobte Land, das Land der Träume, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vieles hat sich geändert in den vergangenen Jahren, und der Blick ist in jüngster Zeit sehr viel skeptischer geworden. Der US-amerikanische Rapper Childish Gambino hat in diesem Jahr einen Song veröffentlicht (HB11), der in krassem Widerspruch zur selbstgefälligen Realitätsverleugnung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump steht. Gambinos Track hat in kürzester Zeit eine beachtenswerte Popularität erreicht und wurde einen Tag nach seiner Veröffentlichung schon auf Platz 1 der iTunes-Charts geführt. Diese Popularität ist auch auf das zeitgleich veröffentlichte Video zurückzuführen, denn kaum ein Clip der letzten Jahre hat so viele Diskussionen ausgelöst. Grund genug, den Song zum Gegenstand des Unterrichts zu machen. Zwei Annäherungsversuche können hierzu die Grundlage bilden. hervor und mit Nonchalance und gekonntem Hüftschwung exekutiert er den vor ihm sitzenden schwarzen Musiker mit einem Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf. Ein kleiner Blutnebel wird aus der Stirn des Opfer geschleudert, bevor es vornüber vom Stuhl fällt. Ein drastischerer Wechsel des Referenzrahmens, des „Frame, ist kaum vorstellbar. Der Sprung vom sich katzenhaft bewegenden und seine Körperlichkeit aggressiv zur Schau stellenden schwarzen Party-Animal zum kaltblütigen Mörder führt ohne Übergang in das Thema des Tracks: auf der einen Seite die positiven wie negativen, stets aber rassistischen Zuschreibungen der Mehrheit an die Minderheit, auf der anderen das Ergebnis dieses Alltagsrassimus in seiner brutalen Konsequenz. Dazwischen, austauschbar und stets nur aus der Perspektive der Mehrheit betrachtet, das schwarze Individuum – als Täter, als Opfer, als Körper, immer aber: als zum Klischee geronnene Pose, als Objekt. Dance and shake the frame „I know you wanna party Party just for free Girl, you got me dancin‘, singt gefällig ein halbnackt tanzender Gambino und fährt fort: „Dance and shake the frame – und auf „frame zaubert er plötzlich ganz entspannt eine Pistole aus dem Hosenbund In seinem Clip ruft Gambino in verblüffender Beiläufigkeit das ganze Repertoire rassistischer Gewalt auf und rekurriert damit unweigerlich und ohne dass diese expliziert werden müssten auf die wesentlichen Stationen der Geschichte des Rassis- LUGERT VERLAG SPECIAL mus in den USA bis in die jüngste Gegenwart: Die Lynchmobs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der Terror des Ku-Klux-Klan, die Rassentrennung und die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre, Martin Luther King und Malcolm X, Rodney King und die Unruhen im Los Angeles des Jahres 1992 und, last but not least, der Wiederaufstieg der rassistischen Rechten als „Alt-Right-Bewegung im Windschatten der amtierenden US-Regierung mit Charlottesville als bislang eindrücklichstem Kristallisationspunkt des sich erneut Bahn brechenden Hasses. Dazwischen, gewissermaßen als Überdruckventil und gesellschaftspolitische Konstante, tödliche Polizeigewalt, wie sie gewiss nicht nur, allerdings überproportional oft, junge schwarze Männer trifft – laut einer Untersuchung des britischen „The Guardian im Jahr 2015 sogar fünfmal häufiger. Das ist der „Frame, der Referenzrahmen, in den sich Gambinos Video einordnet. Schauen wir also genauer hin. das Ende: Aus der Schwärze der Lagerhalle flieht mit gehetztem Blick Gambino, verfolgt von einer unscharf bleibenden Meute, von denen nur ein Attribut erkennbar ist: ihre weiße Haut. Der Künstler Das Musikvideo Das Musikvideo ist in den Passagen der plötzlich hereinbrechenden, expliziten Gewaltdarstellungen nur schwer erträglich. Doch nach dem ersten Schock eröffnet der zweite Blick die vielen Deutungsebenen der hochgradig symbolischen Inszenierung. Sie sollen hier nur kurz angesprochen werden, denn das eigene Anschauen des Videos ist ohnehin unerlässlich. Nur eines sei vorab bemerkt: Aufgrund der expliziten Gewaltdarstellung eignet sich das Video ausschließlich für den Unterricht in der Sek II. Das Setting ist übersichtlich: Eine Lagerhalle oder Tiefgarage, in der Gambino – stets mit freiem Oberkörper – seinen Text rappt und tanzt. Mal auf dem Boden und mal auf einem Auto stehend, mal gehend, mal allein, mal begleitet von schwarzen Tänzern. Ihren Drive erhält die Inszenierung durch die schnell wechselnden Szenen, die sich, ganz wie auf einer Theaterbühne, neben der Hauptperformance abspielen: Da erscheint plötzlich eine schwarze Tanzgruppe und vollführt afrikanisch-folkloristisch anmutende Tänze; ein Gospelchor singt und klatscht enthusiastisch in vollem Ornat und wird von Gambino mit einem ihm aus dem Off zugeworfenen automatischen Gewehr lässig niedergeschossen. Im Hintergrund, dann die gesamte Szene ausfüllend, werden Menschen von Polizisten verfolgt und transformieren sich zu einer aufgebrachten Menge, die von anderen mit dem Handy gefilmt wird, während ein Reiter mit schwarzer Kapuze durch das Bild trabt. Schließlich, nach einem Zwischenspiel auf einer Art stilisiertem Autofriedhof mit Straßenstrich, LUGERT VERLAG Donald Glover (2015) ist der Musiker Childish Gambino Childish Gambino Der US-amerikanische Schauspieler, Komiker, Drehbuchautor und Regisseur Donald Glover rappt seit 2008 unter dem Namen Childish Gambino. Er veröffentlichte mehrere Alben, darunter ein Konzeptalbum und ein Album, das musikalisch als eine Fusion aus Psychedelic Soul, Funk und R&B beschrieben werden kann. Als Schauspieler ist er aus der Musik-Comedyserie „Atlanta bekannt und spielte 2018 u. a. die Rolle des jungen Lando Calrissian im Film „Solo: Star Wars Story. Er ist zweifacher Golden-Globe- und Emmy-Preisträger. Für sein Lied „Redbone erhielt er 2016 einen Grammy. Musikstil Trap Der Begriff „Trap (Slang für einen Ort, an dem Drogen verkauft werden) bezeichnet ein Subgenre des Hip-Hop, das in den späten 1990ern und frühen 2000er Jahren im Süden der USA aus dem sogenannten SouthernHip-Hop entstand. Schwerpunkte waren und sind die Metropolen des Südens, Atlanta, Memphis, New Orleans. Die Musik ist äußerst basslastig und verwendet die Sounds des Roland-Drumcomputers TR-808. Extrem tiefe Bässe, heruntergepitchte, also digital herunter transponierte Stimmen werden mit schnellen, höhenlastig gemischten Sounds kontrastiert. Daraus entsteht eine düstere, bisweilen aggressive Grundstimmung. Das Tempo liegt bei durchschnittlich 140 BPM. Durch Künstler wie Slim Jimmy, Swae Lee, Gucci Manes und Cardi ist das Genre in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre mittlerweile im Hip-Hop-Mainstream angekommen. MUSIK UNTERRICHT 132/2018 49 SPECIAL Verstörend wirken dabei nicht die surrealen Überblendungen und Schnitte und auch nicht allein die Gewalt, deren Darstellung an die aus Computerspielen bekannte Ästhetik erinnert, sondern vielmehr der Kontrast zwischen Ton und Bild, zwischen gefälligem Dance-Track und Brutalität, die wiederum als Trigger dient für einen Umschwung in der Musik. Annäherung – Trap und Folklore Der Liedtext von „This Is America M1) beschreibt die verschiedenen Facetten von rassistischer und sozialer Diskriminierung und deren verhängnisvolle Verknüpfung mit leicht zugänglichen Schusswaffen sowie der dadurch weit verbreiteten Waffengewalt. Konsumorientiertheit, Partystimmung und tödliche Gewalt existieren unmittelbar nebeneinander her, angetrieben von einem unbarmherzigen Sozialdarwinismus, der Täter wie Opfer beherrscht. Der US-amerikanische Komiker Thomas D. Rice (1808–1860) hatte vor allem in einer satirischen Darstellung des „typischen Schwarzen als Jim Crow Erfolg. Musikalisch dominiert ein Mix aus fröhlich klingender Musik einerseits, die klischeehaft die afroamerikanischen Wurzeln darstellen soll, und bedrohlich wirkenden Trap-Rhythmen andererseits. Neben dem schon erwähnten Gospelchor hört man im Hintergrund verschiedene schwarze Rapper des „Southern HipHop, dem Ursprung des „Trap: Young Thug, Slim Jxmmi, BlocBoy, 21 Savage und Quavo. Generell bezieht die Musik ihre Wirkung vor allem aus ihren eindrucksvollen Kontrasten, die sich aus dem Gegenüberstellen verschiedener Musikstile speisen und sich durch den kompletten Song ziehen: Gleich zu Anfang erklingt ein harmonisch einfacher, aber rhythmisch komplexer afrikanischer Chor. Zu diesem mehrstimmigen Satz spielt ein Gitarrist eine gezupfte Begleitung, und eine weitere Gesangsstimme setzt auf die Silben „We just wanna party ein, die sich dem kreisenden Gesang des folkloristischen Chores anschließt. Erst als Gambino mit dem Rap („This Is America .) beginnt, wandelt sich der Song in eine Hip-Hop-Nummer. Im Video wird der abrupte Wechsel durch das bereits beschriebene Erschießen des Gitarristen unüberseh- und -hörbar. Der Rap selbst ist nicht ausschließlich elektronisch produziert, sondern auch durch diverse akustische Perkussionsinstrumente geprägt. Dabei wird das kreisende Element nun vom Bass übernommen. Im nächsten Teil, nach circa 1:40, setzt ein Chor ein, der wiederum an den folkloristischen Chor vom Anfang anknüpft. Hier wiederholen sich die kreisende Melodik und die gezupfte Gitarrenbegleitung, die dann jedoch zum Rap-Teil ebenfalls wieder von den kreisenden Trap-Rhythmen abge- 50 MUSIK UNTERRICHT 132/2018 löst werden. Ab Minute 3:00 werden diese beiden kontrastierenden Teile zusammengeführt, bevor der Song mit einem RnB-artigen Outro endet. Annäherung II – Bild und Musik Song und Video erschienen zeitgleich, denn am selben Tag, als Gambino den Track in der bekannten Late-Night-Sendung „Saturday Night Live vorstellte, erschien auch das dazugehörige Video. Beide Medien gehören also zusammen und gerade für Teenager ist der Song unauflöslich mit den Bildern des Videos verknüpft. Die Bildbotschaften wollen also im Unterricht entschlüsselt werden. Der Video-Clip ist so gedreht, dass man denkt, er wäre in einer einzigen Kamerafahrt aufgezeichnet worden. Wie aus heiterem Himmel bricht an zwei Stellen die Gewalt in die vermeintliche Harmonie ein und markiert damit zugleich den Übergang von melodischem Dance-Track in die düsteren Trap-Passagen. Gerade hat noch der Gitarrist auf einem Stuhl Platz genommen und beginnt mit seiner Begleitung, da dreht die Kamera aus dem Bild. Als sie zurückschwenkt, trägt er plötzlich einen Sack auf dem Kopf und wird von Gambino mit einem Kopfschuss getötet. Die Waffe gibt der Sänger an einen Gehilfen weiter, der sie in ein rotes Tuch einschlägt. Diese Szene lässt viel Spielraum für Interpretationen: Es könnte einerseits gemeint sein, dass in den USA das Recht auf Waffenbesitz noch immer wertvoller zu sein scheint als das Recht auf unversehrtes Leben. Denn die Leiche wird ohne wertvoll anmutendes Tuch davongeschleppt. Andererseits könnte das Tuch seine Farbe auch durch das Blutvergießen vorheriger Morde bekommen haben. Das Töten des Gospelchores, das im Video zum zweiten Trap-Einsatz gezeigt wird, verweist wohl auf den Anschlag in Charleston im Jahr 2015, als ein Weißer in einer Bibelstunde neun Schwarze tötete – auch wenn im Video zehn Menschen in Chorkleidung gezeigt werden. Außerdem vollführt Gambino die stereotype Bewegung eines Jim Crow, der in den 1830er Jahren und darüber hinaus als der Inbegriff des tanzenden, singenden und per biologischer Prädisposition unterdurchschnittlich intelligenten „Negers galt. Gambino holt Jim Crow und die in ihm personalisierte Infantilisierung und Abwertung schwarzer Menschen zurück in die Gegenwart. Gambino trägt im Video eine Hose, die an die Uniform der konförderierten Staaten im amerikanischen Sezessionskrieg erinnert. Denkmäler zu Ehren LUGERT VERLAG SPECIAL dieser Soldaten stehen in den USA zunehmend in der Kritik, da sie als Monumente der Sklaverei interpretiert werden. Auch der Reiter mit Kapuze bietet Interpretationsfläche. Diese Szene mutet an wie die Darstellung des ersten apokalyptischen Reiters, der nach der Offenbarung des Johannes in der Bibel den Ausbruch von Krieg und die kommende Apokalypse ankündigt. In einem engeren Assoziationsrahmen drängt sich darüber hinaus der Ku-Klux-Klan mit seinen kapuzenbewährten Mitgliedern als Deutungsmöglichkeit auf. Annäherungen im Unterricht Der Song kann sowohl rein akustisch als auch audiovisuell zum Unterrichtsgegenstand werden. Doch ist daraus auf jeden Fall die Altersbegrenzung auf den Unterricht in der Sek. II herzuleiten. Folgt man der Methodik der ersten Annäherung, könnte der Song nach dem Hören musikalisch gegliedert werden. In weiteren Schritten wird der Text übersetzt. Die Lerngruppe arbeitet das darin zum Ausdruck kommende Bild der amerikanischen Gesellschaft heraus und diskutiert dieses vor dem Hintergrund der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten M1). Über diese Gegenüberstellung gelangen die Lernenden zu einer Interpretation des Songs. Die Erkenntnisse können in eine Gestaltungsaufgabe münden, bei der eine Wandzeitung oder eine Präsentation zur Interpretation des Songs erstellt wird. Die Präsentation des künstlerischen Produkts hat dabei den Vorteil, dass auf verschiedene Aspekte mündlich eingegangen werden kann. Die zweite Annäherung bringt das Video ins Spiel. Die musikalische Analyse kann im Prinzip ähnlich wie oben geschildert ablaufen, sie wird durch die Bilder des Musikvideos unterstützt. Die Lernenden erstellen eine Übersicht über die musikalische und bildnerische Gestaltung des Videos M2). Zur Interpretation kann M3 verwendet werden, auf dem die oben erklärten Bilder und Screenshots zu sehen sind. Gerade aus dem Erscheinen des vermummten Reiters auf dem Schimmel kann die dystopische Sicht auf das Amerika von heute ersichtlich werden. Eine Diskussion zur ethischen Bewertung des Videos sollte auf keinen Fall fehlen und auch Überlegungen zur Situation in Deutschland und zur Aktualität des Themas können daraus leicht abgeleitet werden. LUGERT VERLAG Darstellung der apokalyptischen Reiter von Albrecht Dürer (1471–1528) Musikvideo zum Artikel Childish Gambino: „This Is America (YouTube) goo.gl/JHu2YU Quelle • The Guardian: Young black men killed by US police at highest rate in year of 1,134 deaths, www.theguardian.com/us-news/2015/dec/31/ the-counted-police-killings-2015-young-black-men MUSIK UNTERRICHT 132/2018 51