Arbeitsblatt: Das Kastenwesen in Indien
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Die soziale Stellung der Frau unterliegt im indischen Kastenwesen ein für europäische Vorstellungen Diskriminierungen höchst entwürdigender Art. Einführung in das Kastenwesen.
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03.01.2010
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Das Kastenwesen in Indien Einführung Die soziale Stellung der Frau unterliegt im indischen Kastenwesen ein für europäische Vorstellungen Diskriminierungen höchst entwürdigender Art. Um somit das Kastensystem, in welcher die Identität jedes Einzelnen und auch jene der Frau sehr eingeschränkt ist, besser zu verstehen, wird nun in diesem Teil der Arbeit das Kastensystem etwas genauer analysiert. 1. Die Geburt der Kasten Der Ursprung des Kastenwesens liegt schon mehr als 2000 Jahre zurück. Als stetiges Einwanderungsland drangen erstmals 2000 v. Chr. indo- arische Stämme aus Zentralasien vor und wurden in Indien sesshaft (Gräfin von Schwerin, 1996, S. 41). Schon bei den Eindringlingen herrschten Klasseneinteilungen, in welchen Unterschiede zwischen den Adeligen und den gewöhnlichen Stammesangehörigen gemacht wurden. Diese Klassifizierung verstärkte sich zudem, als sich die Arier unter die dunkelhäutigen Ureinwohner mischten und diese als Sklaven, sogenannte „dasa abstempelten und von der arischen Gesellschaft ausschlossen (Krack, 1990, S. 24). Besonders durch die Hautfarbe konnten sich die hellhäutigen Arier aus dem Kaukasus von den Ureinwohnern unterscheiden. Daher entspringt vermutlich auch der indische Ausdruck für Kasten „varnas, was so viel heisst wie Farbe, Kategorie, Zustand, gesellschaftliche Stellung und Rang. (Fritz Kämpchen, 1995, S. 188-189) 2. Die Kastenaufteilung Den Namen „Kasten findet seinen Ursprung aus dem portugiesischen „casta, was „unvermischt und rein bedeutet (Gräfin von Schwerin, 1996, S. 112), als die Portugiesen im 16. Jahrhundert nach Indien kamen und die Gesellschaft in zahlreiche Gruppen aufgesplittert sahen. Die Legende besagt, dass die varna nach venischer Tradition durch die Aufteilung in die Körperteile der Götter entstanden ist: aus dem Munde entstammten die Brahmanen (Priester und Gelehrte), die Kschatriyas (Krieger) aus den beiden Armen, aus den Schenkeln die Vaischyas (Händler und Bauern) und aus den Füssen die Shudras (Arbeiter und Untertanen). Eine weitere, fünfte Unterteilung wird mit den kastenlosen unberührbaren „Dalits (Unterdrückte) und den Adivasis (Ureinwohner Indiens) gemacht. Diese zeugen von höchster Unreinheit, dass sie als von nicht göttlicher Herkunft bezeichnet werden (Fritz Kämpchen, 1995, S. 188). Es wird von Rein- und Unreinheit gesprochen, was als die religiöse Konzeption des hinduistischen hierarchischen Systems definiert wird (Paz, 1999, S. 66). Eine weitere Feinteilung gilt es unter dem Namen „Jati zu beachten. Die Jati ist die Subunterteilung der vier Kasten, welche in eigene Hierarchien gegliedert ist. Sie bedeutet eine Zuteilung von Gruppen von Menschen mit gemeinsamen Merkmalen. Man wird in ihr geboren und stirbt in ihr. Die Konzeption der Jati ist dermassen komplex, dass kein Aussenstehender einen Überblick davon erhalten kann. Sie nimmt die Einteilung der Betroffenen bezüglich der Arbeitsteilung, der Heiratsvorschriften, der Ernährungsgewohnheiten, der Auswahl der Freunde und des Ehepartners, der Ausbildung sowie des Wohnorts vor (Fritz Kämpchen, 1995, S. 89). Es wird heutzutage von mehr als 3000 Unterkasten ausgegangen, welche sich wiederum in rund 25 00 Subkasten aufgliedern, welche jedoch nur in ganz bestimmten Gegenden existieren (Krack, 2001, S. 51). 2.1 Die Unberührbaren Die Unberührbaren oder „harijan (Kinder Gottes), wie Mahatma Gandhi sie nannte, bilden die niedrigste Stufe des Kastensystems. Davon betroffen ist jeder sechste Inder- kurz 160 Millionen Menschen (ONeill, 2003, S. 34). Sie werden als unrein bezeichnet und dürfen deshalb mit den „reinen Kasten nicht in Kontakt treten. Dies geht so weit, dass selbst die Berührung der Schatten eines Hochkastigen und eines Unberührbaren als Verunreinigung des Hochkastigen angesehen wird (Krack, Hinduismus erleben, 2001, S. 48) und dieser daraufhin unzählige „Reinigungszeremonien hinter sich bringen muss. Das Erscheinen der Unberührbaren wurde daraufhin in früheren Zeiten mit lauten Ausrufen oder Holzklappern vorgewarnt (Krack, Kulturschock Indien, 1990, S. 26). Die Furcht implizierte auch das Verbot, aus den Dorfbrunnen Wasser zu schöpfen oder das ständige Mittragen von Gefässen zum essen und trinken, damit der Boden durch den Speichel der Unberührbaren nicht verunreinigt wird (ONeill, 2003, S. 41,46). Nur unreine Seelen dürfen gemäss der Gesetze Manus, dem göttlichen Stammvaters aller Menschen, unreine Arbeiten verrichten. Demnach sind die dalits zu Arbeiten verdammt, welche den Kontakt mit unreinen Substanzen oder Materialien verlangen wie beispielsweise Blut, Exkrementen, Kadaver oder Lederarbeiten (ONeill, 2003, S. 45). 3. Die Bedeutung der Kasten in der Gesellschaft und deren Wandel Die Grundlage des hinduistischen hierarchischen Systems ist wie bereits erwähnt, eine religiöse Konzeption und zwar die der Reinheit und der Unreinheit. Obwohl die Ordnung religiös begründet ist, spielen die ökonomischen und politischen Aspekte auch eine wichtige Rolle. Jede Kaste besitzt einen Rat, welcher die politische Funktion der Selbstverwaltung übernimmt. Durch das unvorstellbare komplexe Beziehungsnetz entstehen in den jeweiligen Kasten solidarische Gruppen, in welchen gegenseitig Hilfe geleistet wird. Die zwei Hauptsäulen des Beziehungsgeflechts sind der Beruf und der Lebensraum. Es wird unterschieden zwischen Kasten von Juwelieren, Webern bis hin zu Kasten der Diebe (the criminal tribes). Als zweite Achse gilt der Lebensraum. Jede Kaste hat seine Wurzeln aus einem bestimmten Gebiet. Doch nicht nur das Gebiet, sondern auch die Sprache ist in der zweiten Achse miteinbezogen (Paz, 1999, S. 67). Dadurch, dass die Grundlage des Systems religiös ist, schafft das Kastenwesen keine Aufstiegsmöglichkeiten. Die Kasten sind kein Mittel zu sozialer Mobilität, d. die einzelnen Individuen können nicht gefördert werden. Jedoch kann die gesamte Kaste ihren Status erhöhen. Dies vor allem aufgrund von Vermögenssprüngen. Ein solcher Wechsel verlangte die Änderung der Sitten, Gebräuche sowie des Namens der Kaste (Fritz Kämpchen, 1995, S. 190-191). 3.1 Existenzgefahr einer Kaste anhand des Beispiels „dhobi Dhobi ist die Wäscherkaste. Sie wusch die Wäsche von Tausenden von Indern beim Fluss unterhalb der alten Yamuna-Brücke. Durch die fortwährende Verschmutzung des Flusses und der technischen Fortschritte der Waschmaschinen, schrumpfen die Einnahmen der Wäscherkaste täglich. Immer mehr Haushalte des städtischen Mittelstandes leisten sich eine Waschmaschine. Früher waren die dhobi vom Haushalt nicht wegzudenken. Sie kamen zweimal in der Woche vorbei und holten die schmutzige Wäsche ab und brachten die saubere und gebügelte Wäsche nach einigen Tagen wieder ins Haus. Doch durch die modernen Werbungen, die das Waschen und Bügeln propagieren, wird das Bild der herabwürdigenden Tätigkeit beiseite geschoben und positiv vermarktet. Dies jedoch auf Kosten einer millionengrossen Kaste Indiens (Bänziger, 1996, S. 133 ff). An diesem Beispiel kann man gut erkennen wie sehr einerseits, die ökonomischen und politischen Aspekte eine Rolle spielen und andererseits, wie das Kastensystem immer mehr in Konflikt mit der industriellen Entwicklung des Landes tritt. 4. Der Wandel des Kastensystems Als zweite weltweit schnellste wachsende Wirtschaft (nach China ,rediff, 2009), und einer Bevölkerungszahl von über einer Milliarde Menschen (geographixx, 2009)prallen das hinduistisch hierarchische System und die globale industrielle Entwicklung immer mehr und heftiger zusammen. Offiziell spielt das Kastenwesen im Gesetz keine Rolle mehr- alle Menschen sind gleich. Jedoch sieht dies im privaten Bereich ganz anders aus. Das Kastendenken herrscht immer noch in den Köpfen der hinduistischen Bevölkerung (Krack, 2001, S. 51). Die Verbindungen zwischen Kaste und Beruf sind aber nicht mehr so stark wie vor 70 Jahren, genauso wie der rituelle Aspekt von rein und unrein. Auch die Heirat wird lockerer gehandhabt. Hier wird aber zwischen dem traditionell ländlichen Indien und der städtischen Mittelklasse unterschieden. Im Letzteren sind zwischenkastliche Ehen heutzutage keine Seltenheit mehr. Die Regel schreibt die arrangierte Heirat in derselben jati zwar immer noch vor, wie dies im ländlichen Indien auch der Fall ist, jedoch wird die Regel immer häufiger gebrochen (Bänziger, 1996, S. 163). Durch die zunehmende Verstädterung, gemäss „Terra aktuell lag der Stand im Jahr 2001 bei einer Verstädterungsrate von 27,8% (Mann, 2003, S. 6), bewegen sich immer mehr Inder aus verschiedenster Kastenherkunft nebeneinander, ohne das geringste voneinander zu wissen. Dies obwohl der traditionelle Hindu sich nicht wohl fühlt mit jemandem zu verkehren, dessen gesellschaftlichen Hintergrund er nicht kennt (ONeill, 2003, S. 43). Die indische Regierung setzt sich auch für die kastenlosen dalits, welche von den indischen Beamten als „scheduled tribes genannt werden, ein und führte ein Quotengesetz ein. Dies bedingt einen gewissen Prozentanteil von Ausbildungsplätzen an Universitäten sowie an staatlichen Arbeitsplätzen, die für die dalits reserviert werden (Krack, Kulturschock Indien, 1990, S. 26). Des Weiteren wurde 1950 in der Verfassung eine Quote festgelegt, welche den Unberührbaren gemäss ihrem Anteil an der Bevölkerung, 15 Prozent der Sitze im Parlament sichert. Die Wirkung dieser Politik ist aber im indischen Staat, welcher sich selbst als säkularer Staat versteht, heftig umstritten. Immer wieder werden brutale Übergriffe auf die dalits bekannt, bis hin zu Vergewaltigungen, Verbrennungen und illegale Exekutionen (Lynchmorden) (ONeill, 2003, S. 45). Der Hass schnürt sich auf beiden Seiten immer mehr zu. Seit 30 Jahren reagiert eine radikale Landreformbewegung unter dem Namen „Naxaliten mit Gegengewalt. Auf der anderen Seite bilden sich Privatarmeen, wessen Mitglieder sich über die Land- und Lohnforderungen von den dalits empören und mit Gewalt darauf antworten (ONeill, 2003, S. 62). Zusammenfassend erkennt man, dass der Wandel der Kastenhierarchie sich nicht nur in der Gewalt und den neuen Reformen widerspiegelt. Es zeichnet sich auch im Schutz der einzelnen Individuen ab. Kleinfamilien, welche die traditionellen Grossfamilien gemäss westlichem Vorbild ersetzen, nehmen in der modernen Mittelklasse immer mehr zu, die Kastensolidarität vermindert sich und das Unterstützungssystem wird mit Gleichgültigkeit gegenüber den Einzelnen in derselben Kaste überzogen. Gemäss dem Politologen Rajni Kothari gab es in der Kaste, wie sie im ländlichen Indien funktionierte, zumindest Platz für Benachteiligte. „Es gab Ungleichheit, aber niemand konnte verhungern. Unberührbare durften nicht einmal in die Nähe der Brahmanen kommen, aber wenn sie Hunger litten, gab man ihnen Nahrung (Bänziger, 1996, S. 164) Zitat Auch das Beispiel der Wäscherkaste dhobi, welche um Ihre Existenz fürchten muss, zeigt ein neues Indien auf. Es zeigt auf der einen Seite die Grundordnung auf, bei welcher jeder Einzelne seinen Platz findet und eine Rolle zugeteilt bekommt, jedoch ungerecht ist. Auf der anderen Seite zeigt es die ständig zunehmende Modernisierung, Industrialisierung, Kommerzialisierung und die Konsumgier, die mit der alten Ordnung nicht zusammenzuspielen scheint, auf. Obwohl die Modernisierung grosse Chancen für die Verbesserung des Lebensstandarts und der Lebensqualität des Einzelnen bereithält, kann sie gleichzeitig auch Millionen von Menschen zurückfallen lassen, die nicht in der Lage sind diesem raschen Wandel nachzukommen und sich in der neuen Welt einen Platz zu sichern (Bänziger, 1996, S. 108). Schlussfolgernd kann man sich die Frage stellen, ob und wie sich die Ungleichheit des Kastenwesens überhaupt überwinden lässt. Denn sollte man nicht vergessen, dass der Kern des Kastenwesens religiös ist und die Idee der Reinheit beinhaltet. Das heisst, dass das Kastensystem auf dem zentralen Prinzip des Hinduismus und somit des Karmas, gründet. Wie kann man also die Kasten abschaffen, ohne dabei dem Hinduismus den Rücken zu kehren (Paz, 1999, S. 70)? Dies und zahlreiche weitere Herausforderungen erwarten die Zukunft des Landes des heiligen Ganges und lässt die Welt weiterhin über die Kultur im Wandel staunen.