Arbeitsblatt: Unterrichtseinheit zu Kafkas Kurzprosa
Material-Details
Unterrichtseinheit von 8 Lektionen zu Kafkas Kurzprosa - Studienleistung im Rahmen der Lehrerausbildung
Deutsch
Leseförderung / Literatur
12. Schuljahr
28 Seiten
Statistik
88831
2904
33
29.10.2011
Autor/in
Claudio Praiano
Land: Schweiz
Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
Grobplanung einer Unterrichtseinheit zum Thema „Einführung in Kafkas Kurzprosa im Umfang von 8 Lektionen Inhaltsverzeichnis 1. Bedingungsanalyse 2 2. Sachanalyse 2 2.1. Einleitung . 2 2.2. Kafkas Kurzprosa 3 2.3. Die Kurzgeschichte – eine Definition . 4 2.4. Exemplarische Interpretation von „Der Steuermann . 4 2.5. Exemplarische Interpretation von „Eine kaiserliche Botschaft 6 3. Didaktische Analyse und Reduktion . 7 3.1. Begründung . 7 3.2. Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung 8 3.3. Zugänglichkeit . 8 3.4. Thematische Reduktion und exemplarische Bedeutung 9 4. Groblernziele . 10 4.1. Kognitive Lernziele 10 4.2. Affektive Lernziele . 11 4.3. Pragmatische Lernziele . 11 5. Grobplanung . 11 6. Feinplanung 14 7. Literaturverzeichnis 17 8. Anhang 18 1 1. Bedingungsanalyse In dieser Grobplanung wird eine Unterrichtseinheit von acht Lektionen zum Thema „Einführung in Kafkas Kurzprosa konzipiert, die für eine vierte Gymnasialklasse aus dem Kanton Basel-Stadt gedacht ist. Die Klasse wird aufgrund ihres fortgeschrittenen Wissensstandes die Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit Kafkas Kurzprosa relevant sind und im weiteren Verlauf dieser Arbeit behandelt werden, bereits kennen. 2. Sachanalyse 2.1. Einleitung Im Jahre 1973 nahm der Duden das Adjektiv „kafkaesk auf. Die Definition lautet: „kafkaesk in der Art der Schilderungen Kafkas; auf rätselvolle Weise unheimlich, bedrohlich.1 Kafkas Biograf umschrieb den Begriff in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Juni 2008 folgendermassen: „[] Meistens meinen die Leute damit etwas Absurdes und zugleich Unheimliches, meistens geht es um irgendwelche Machtbeziehungen: Wenn diejenigen, die das Zentrum der Macht besetzen, im Dunkeln bleiben, dann hat man das Gefühl, die Situation sei „kafkaesk. Das ist vermutlich auch die entscheidende Verbindungslinie zwischen Kafka und uns. In seinen Romanen ist ja der Gipfel der Pyramide unsichtbar, und in der heutigen Gesellschaft weiß man trotz der scheinbaren Transparenz auch nicht so genau, wie es in den obersten Instanzen zugeht.2 Es ist sehr bezeichnend, dass der Begriff „kafkaesk in die Umgangssprache eingegangen ist, was die herausragende Bedeutung Kafkas unterstreicht. Um das „Kafkaeske an seiner Kurzprosa exemplarisch darzulegen, wird in der Sachanalyse die Interpretation von „Der Steuermann und „Eine kaiserliche Botschaft vorgenommen. Die Wahl ergibt sich daraus, dass die erwähnten Kurzgeschichten Teil der ersten Doppellektion sein sollen, die in der Feinplanung ausgeführt wird. 1 2 8 „kafkaesk, in: Duden Fremdwörterbuch, Mannheim 2005, S. 496. (08.07.2011). 2 2.2. Kafkas Kurzprosa Der Zeit um 1900 stand die damals junge Generation, zu der neben Franz Kafka auch Alfred Döblin, Else Lasker-Schüler, Georg Trakl, Gottfried Benn und andere gehörten, skeptisch gegenüber. Sie hielt die Gesellschaft ihrer Zeit für erstarrt, korrupt und heuchlerisch. Sie teilte die Ansicht, dass das Alte zu Grunde gehen müsse, damit Neues entstehen könne. So begrüssten viele Expressionisten – ausgenommen Kafka – den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, weil sie sich den Beginn einer neuen, besseren Zeit erhofften. In der Literaturwissenschaft, wie auch in der Kunst, wird die Zeit von 1910 bis 1925 als Expressionismus bezeichnet. Die Besonderheit der expressionistischen Literatur ist ihre Darstellungsweise, denn den Expressionisten war eigen, dass sie einen visionären Blick auf das, was kommen sollte, vermittelten. Kennzeichen expressionistischer Literatur sind Neologismen, das Aufbrechen grammatischer Strukturen, der Reihungsstil und nicht zuletzt eine ablehnende, ja pessimistische Lebensauffassung. Unter dem Reihungsstil versteht man die Anneinaderreihung von Metaphern zum Zweck, die Befindlichkeit des Sprechers auszudrücken, der die Sinneseindrücke nicht mehr zu einem geordneten Ganzen verbinden kann und deshalb einer Wirklichkeit ratlos gegenübersteht. Die Einordnung Kafkas in die Epoche des Expressionismus ist nicht unproblematisch, obwohl er dazu gezählt wird, weil er zu der Zeit gelebt und geschrieben hat. Die Thematik und Stilistik seiner Werke lässt sich zweifelsohne in diese Epoche einordnen. Ihre Deutungsoffenheit und Zeitlosigkeit ermöglichen es aber nicht, sich absolut auf die Epoche festzulegen.3 Die Einbettung der erwähnten Merkmale wird exemplarisch in der Interpretation von „Der Steuermann vorgenommen. In dieser Unterrichtseinheit sollen folgende Kurzgeschichten Kafkas Gegenstand der Untersuchung werden: „Der Steuermann (1920), „Vor dem Gesetz (1915), „Auf der Galerie (1917), „Eine alltägliche Verwirrung (1917), „Von den Gleichnissen (1912), „Eine kaiserliche Botschaft (1917) sowie „Der Kreisel (1920). 2.3. Die Kurzgeschichte – eine Definition4 Die deutschsprachige Kurzgeschichte ist eine Form moderner Prosa, die im 20. Jahrhundert nach dem Vorbild der amerikanischen „short story entstanden ist. 3 Vgl. Schurf, Bernd u.a. (Hg.): Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe, Berlin 2009, S. 404. 4 Vgl. „Kurzgeschichte, in: Basislexikon Literaturwissenschaft, Paderborn 2004, S. 300 f. 3 Kennzeichnend ist – wie der Begriff selbst suggeriert – ihre Kürze. Dieses formale Charakteristikum findet seine Entsprechung im Inhalt, da eine Kurzgeschichte ebenso anhand der Verdichtung des Geschehens auf ein bestimmtes Ereignis erkennbar ist. Daraus resultiert, dass sich der Anfang einer Kurzgeschichte mitten im Ereignis abspielt und das Ende offen bleibt. Die Wiedergabe des Erzählten geschieht oft aus der Innensicht durch erlebte Rede oder inneren Monolog. Markant ist die Alltäglichkeit von Thematik und Sprache, die ein einfaches Lesen ermöglichen. Die sprachliche Technik der Andeutungen, Mehrdeutigkeit und Metaphorik erschweren allerdings die Interpretation. Anders als in der Novelle ist die Kurzgeschichte auf repräsentative und für die Zeit sinnfällige Begebenheiten ausgerichtet. 2.4. Exemplarische Interpretation von „Der Steuermann Kafkas „Der Steuermann ist im Jahre 1920 entstanden, gehört aber zu denjenigen Werken des Autors, die erst posthum von Kafkas langjährigem Freund Max Brod veröffentlicht wurden. Bevor Franz Kafka 1924 starb, bestimmte er seinen langjährigen Freund als Nachlassverwalter und verfügte, alle seine literarischen Aufzeichnungen zu vernichten. Doch Brod, der Kafkas dichterisches Können früh erkannt hatte, sah sich dazu verpflichtet, den Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es ist also ihm zu verdanken, dass wir heute Einblick in die Werke einer der grössten deutschsprachigen Dichter der Moderne haben. Aus der Ich-Perspektive erzählt der Steuermann, der Protagonist in „Der Steuermann, von seinem Erlebnis an Bord eines Schiffes. Ein „dunkler hochgewachsener Mann erscheint plötzlich auf dem Schiff und vertreibt den Steuermann. Der Steuermann wehrt sich, doch der offensichtlich stärkere Fremde drückt ihn mit dem Fuss nieder und übernimmt selbst das Steuer. Der Steuermann ruft die Mannschaft zu Hilfe. Die Seemänner werden als „schwankende müde mächtige Gestalten beschrieben. Auf die Frage hin, ob er ihr Steuermann sei, nicken sie. Doch gegen den Usurpator erheben sie sich nicht; im Gegenteil: Sie gehorchen dem Fremden, der die Mannschaft mit der Aufforderung „Stört mich nicht wieder verschwinden lässt. Das Geschehen erscheint in erster Linie paradox. Dass der Fremde gegen den Steuermann die Überhand behält, mag noch einleuchten, beachtet man seine beschriebene Grösse. Unrealistisch mutet die Fortsetzung an, als die Mannschaft erscheint, die durch ihre Überzahl dem Fremden problemlos Einhalt gebieten könnte, 4 zumal nichts darauf hindeutet, dass der Fremde Waffen dabei hat. Bereits an diesem Punkt der Interpretation stellt sich die Frage, weshalb die Mannschaft sich wieder zurückzieht und damit dem Fremden Folge leistet. Eine Meuterei kann ausgeschlossen werden, da die Mannschaft bestätigt, dass ihr Steuermann der rechtmässige sei. Die Mannschaftsmitglieder werden mit den Attributen schwankend, müde und mächtig charakterisiert. Doch diese Charakterisierung ist ambivalent. Mächtig sind sie wahrscheinlich aufgrund ihrer körperlichen Stärke, die von der Arbeit herrührt. Schwankend vielleicht, weil sie betrunken sind, und müde, weil sie aus dem Schlaf gerissen wurden. Doch auch hier müsste die Überzahl der Mannschaft ihr Befinden überwiegen, um sich für den Steuermann einzusetzen. Das Schwanken kann man aufgrund der Ambivalenz im übertragenen Sinne verstehen, nämlich als Unentschlossenheit, weil sie nicht wissen, wie sie das Problem lösen können. Diese These wird durch die beiden letzten Sätze gestützt, als der Erzähler empört sagt: „Was ist das für ein Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde? Der Mannschaft wird also vorgeworfen, dass sie sich passiv verhalten und das Unheil zulassen. Weil sie gedankenlos sind und ihr Handeln ohne Sinn ist, gewinnt hier der Stärkere. Die Gewalt siegt über die Legitimität, der Einzelne ist der Macht des Usurpators ausgeliefert, weil die Mannschaft – die gedankenlosen Mitläufer – sich an einer Person orientieren, die Stärke und Macht ausstrahlt. „Sie nickten, aber Blicke hatten sie nur für den Fremden, im Halbkreis standen sie um ihn herum [], heisst es in der Erzählung. Die Ausstrahlung des Fremden paralysiert die Mannschaft, sie steht sogar im Halbkreis um ihn herum, was seine besondere Stellung hervorhebt. Ausserdem stellt sich die Frage, weshalb der Steuermann seine Mannschaft unerwartet als „Volk bezeichnet. Das Wort eröffnet die Tür zu einer weiterführenden Interpretation. Wenn die Mannschaft für das Volk steht, also metaphorisch zu verstehen ist, dann müssen analog dazu auch alle weiteren Elemente und Figuren im übertragenen Sinne erfasst werden. Der Steuermann wäre dann derjenige, der das Volk leitet. Das Lenken des Ruders steht demnach sinnbildlich für das Führen eines Volkes oder das Lenken des menschlichen Geschicks. Der Fremde, der den Steuermann verdrängt und selbst das Ruder übernimmt, ist ein unrechtmässiger Herrscher. Konsequenterweise müsste er also vom „Volk vertrieben werden und der „Steuermann damit als der rechtmässige „Lenker von seinem „Volk nicht nur in seiner Legitimität bestätigt, sondern zugleich verteidigt werden. Die Quintessenz der Kurzgeschichte führt zur Frage von Macht und Recht. Ein Mensch wird gewaltsam von sei5 ner rechtmässigen Position verdrängt, aber die brutale Machtergreifung des Fremden wird zugelassen und geduldet, weil das Volk gedankenlos ist und aus Mitläufern besteht. Deshalb herrschen diejenigen, die sich illegitim mit ihrem brutalen Machtanspruch durchgesetzt haben. 2.5. Exemplarische Interpretation von „Eine kaiserliche Botschaft Die Parabel „Eine kaiserliche Botschaft stammt aus dem Jahr 1917. Im Gegensatz zu „Der Steuermann, welche erst posthum veröffentlicht wurde, hat Franz Kafka „Die kaiserliche Botschaft persönlich publizieren lassen. Anders als die vorausgehende Interpretation von „Der Steuermann richtet sich das Augenmerk hier insbesondere auf die sprachlich-stilistischen Merkmale. Wie der Titel suggeriert, wird aus der Er-Perspektive von einer Botschaft berichtet, die von dem im Sterbebett liegenden Kaiser an seinen Boten übergeben wird. Der Erzähler richtet sich dabei mit „Dir „gerade Dir „Du aber besonders eindringlich an den Leser, „dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen heisst es in der ersten Zeile. Das herablassende Attribut „jämmerlich unterstreicht den Statusunterschied zwischen dem Kaiser und dem Untertan. Im ersten Satz werden also Absender und Adressat der Botschaft genannt, die beide neben ihrem Status auch durch die räumliche Entfernung voneinander getrennt sind. Dennoch wird eine enorme Wichtigkeit dieser Botschaft suggeriert, weil der Kaiser diesem einen Untertan eine Botschaft überbringen lässt. Der Untertan wird allerdings am Ende der Parabel enttäuscht, denn die Botschaft erreicht ihn nie. Wird der Bote anfangs als „kräftiger, unermüdlicher Mann charakterisiert, bringt die antithetische Setzung mit „Aber eine Wendung. Dem Boten gelingt es nicht, durch das Labyrinth des königlichen Palastes hinauszugelangen, sodass sich der Leser mit den wenig tröstenden Worten begnügen muss: „Du aber sitzt an Deinem Fenster und erträumst sie [die Botschaft] Dir, wenn der Abend kommt. Auf der stilistischen Ebene wird das Scheitern neben der Antithese ebenso durch wiederholte Verneinungen wie „niemals, niemals, durch den Konjunktiv („immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen), durch Parallelismen und durchgängige „Und-Reihungen ausgedrückt. Hervorzuheben ist neben den genannten Eigenheiten der Tempusgebrauch. 6 Bis zur Stelle, an der geschildert wird, wie der Bote sich den Weg bahnt, wird das Perfekt gebraucht, das den Eindruck des Abgeschlossenen erweckt. Die Vergeblichkeit des Boten, den Weg aus dem Palast zu finden, die nicht mehr im Perfekt, sondern im Präsens beschrieben wird, deutet die Kontinuität des Scheiterns an, übrigens genauso wie der letzte Satz, der ebenso im Präsens steht. Die mit Majuskeln geschriebenen Pronomen „Du „Dir erinnern an die höfliche Anrede aus Briefen. Die Botschaft des Kaisers erreicht also nie den Adressaten, ja kann ihn nicht erreichen. Der Adressat, der wartend auf die Botschaft am Fenster sitzt, der im Grunde genommen gar nichts von der Botschaft wissen kann, da er sie nie erhält, sehnt sich offenbar nach der Nähe zur Autorität, die ungreifbar und unendlich entfernt bleibt. Diese Autorität kann auch die Sehnsucht nach Macht, Ansehen oder Bewunderung sein. Der Adressat sieht sich als Auserwählten, aber nur in seiner Fantasie. Die Beschreibung der labyrinthartigen Gänge des Palastes könnte man auch als eine Metapher verstehen, nämlich als Bezug auf die komplizierten Systeme der staatlichen Bürokratie, die Kafka aus seiner beruflichen Zeit als Versicherungsjurist bekannt waren. So oder so stehen die Hoffnungslosigkeit und nicht erfüllbare Wünsche im Mittelpunkt, die sowohl sprachlich wie auch inhaltlich vermittelt werden. 3. Didaktische Analyse und Reduktion 3.1. Begründung Die Kurzprosa Kafkas gehört zweifelsohne in den Literaturunterricht. Doch der Dichter stand nicht immer auf dem Literatur-Olymp. Nach dem Tode Kafkas war die Rezeption sehr widersprüchlich. Diese reichte von der Verehrung bis hin zur Ablehnung seiner Schriften. Erst der französische Existentialismus bemächtigte sich Kafkas als Kronzeugen moderner Existenzerfahrung. Diese Entwicklung in der Nachkriegszeit liess Kafka in die Stoffpläne der Oberstufe vordringen. Was macht Kafka so wichtig für den Unterricht? Ein wichtiger Aspekt von Kafkas Werken ist die klare, schnörkellose Sprache. Darüber hinaus lassen sich exemplarisch mehrere literarische Gattungen wie Fabel, Parabel oder Legende aufzeigen. Die sprachlich-stilistischen Merkmale, die in den Interpretationen herausgearbeitet wurden, ermöglichen textnahe Untersuchungen. Kafka war von seinen Träumen, seinen Grössenfantasien, Ängsten und Überforderungen bestimmt. Eben dieses „Kafkaeske machen seine Kurzprosa aus. 7 Die SuS können sich in die Kurzprosa hineinversetzen, in die darin beschriebenen Ängste, Zweifel und Sehnsüchte, ohne die sprachlich-stilistischen Aspekte zu vernachlässigen. Die Bilderwelten, Mehrdeutigkeiten, Paradoxien und Ambivalenzen in Kafkas Werken halten zudem die Spannung aufrecht, die sich bei der Beschäftigung mit seiner Kurzprosa bietet. 3.2. Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung Gesellschaftliche oder soziale Themen, wie man sie in Kafkas Texten vorfindet, eignen sich für die Übertragung auf andere Epochen. Kafkas Kurzprosa bietet für Jugendliche in einer Welt, in der sie sich mit familiären Konflikten, Beziehungen zum anderen Geschlecht, sozialen Machtverhältnissen, eigenen Ansprüchen und Fantasien auseinandersetzen müssen, eine Möglichkeit zur Selbstreflexion. Die Identifizierung mit dem Text weckt bei jeder Schülerin und jedem Schüler die Neugier und macht Kafka für den Unterricht und das Leben eines Jugendlichen spannend und interessant. Ob die Beschäftigung mit Kafka Zustimmung, Irritation oder Ablehnung hervorruft, ist insofern irrelevant, als dass man sich als Lehrperson jegliche dieser Reaktionen für den Unterricht zunutze machen kann. Darüber hinaus enthält die Kurzprosa eine Kritik an totalitären und menschenverachtenden Staatssystemen. Summa summarum enthält die Kurzprosa Franz Kafkas vielerlei Aspekte, mit denen sich die SuS identifizieren können, sei es in befürwortender oder ablehnender Haltung. Wie bereits eingehend geschildert, bedient sich Kafka gesellschaftskritischer Themen, die gegenwartsbezogen sind. Weil sie heute aktuell erscheinen, könnten sie auch morgen, also in Zukunft, zeitgemäss sein. Deshalb hat die Gegenwartsbedeutung zugleich eine Zukunftsbedeutung. 3.3. Zugänglichkeit Das Thema der Unterrichtseinheit ist sehr gut zugänglich, da genügend Textsammlungen sowie Sekundärliteratur (s. Literaturverzeichnis) existieren. Die thematischen Anknüpfungspunkte werden, wie in der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung geschildert, über die eigene Welt und Erfahrung der SuS geschaffen. Die für das Verständnis und die Analyse notwendigen Begrifflichkeiten werden aufgrund des fortgeschrittenen Status‘ der Klasse als bekannt vorausgesetzt und wenn nötig wiederholt. 8 3.4. Thematische Reduktion und exemplarische Bedeutung Kurzerzählungen bieten sich aufgrund ihres Umfanges sehr gut an, weil sich innerhalb einer Unterrichtseinheit die Chance ergibt, gleich mehrere zu behandeln. Dennoch ist es notwendig, einige auszuwählen, da der zeitliche Umfang von acht Lektionen nicht die Behandlung von Kafkas gesamter Kurzprosa ermöglicht, es aber den SuS offen lässt, nach Lust und Laune in den weiteren Werken Kafkas zu stöbern. Wie in der Feinplanung zu ersehen ist, soll der Einstieg in Kafkas Kurzprosa über „Der Steuermann geschehen. Sie ist innerhalb der Kurzerzählungen des Autors eine der kürzeren und eignet sich somit für den Arbeitsauftrag, eine Textfortsetzung zu schreiben (vgl. Feinplanung). Diese Übung ermöglicht den SuS eine textnahe Annäherung an Kafkas Schreibstil und an den Inhalt der Kurzgeschichte. Es wird erwartet, dass die SuS ein eher versöhnliches Ende schreiben oder zumindest eines, bei dem der Steuermann mit Hilfe seiner Mannschaft den Fremden vertreiben kann. Diese Erwartung rührt daher, dass der Mensch in seiner Empfindung, was die Vorstellung über ein menschliches Miteinander betrifft, auf die Lösung von Konflikten aus ist. Ausserdem ist es eine logische Konsequenz, wenn sich eine Mannschaft und ein Mann gegenüberstehen, dass die Mannschaft den Kampf gewinnt. Das Aussichtlose, Pessimistische an Kafkas „Der Steuermann, die Paradoxie in der Handlung, als sich die Mannschaft zurückzieht, müsste bei den SuS Verwunderung oder vielleicht sogar Ablehnung auslösen. Genau diese Reaktionen sollen der Ausgangspunkt für das Verständnis von Kafkas Weltsicht sein und die Basis für die Interpretation seiner Kurzprosa. Sicherlich darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass der eine oder andere Franz Kafka bereits kennt oder zufällig dessen Schreibstil imitieren kann. Dennoch ist zu erwarten, dass ein Grossteil der SuS eine eher lösungsorientierte Fortsetzung schreibt mit einem in sich abgeschlossenen Ende. In der ersten Doppellektion sollen die SuS noch keine biografischen Informationen erhalten. In einem ersten Schritt ist die textimmanente Deutung von Belang. In einem weiteren Schritt können biografische Informationen hinzugezogen werden. Mit der Analyse von „Vor dem Gesetz und „Auf der Galerie soll die Gattung „Parabel, welche die SuS bereits kennen, im Zusammenhang mit Kafkas Kurzprosa eingebaut sowie die Einbindung der biografischen Hintergründe erreicht werden. Die weiteren ausgewählten Erzählungen „Eine alltägliche Verwirrung, „Von den Gleichnissen, 9 „Eine kaiserliche Botschaft und „Der Kreisel ermöglichen die Fundierung und Festigung des Erlernten. Sie wurden unter dem Aspekt des gleichen interpretatorischen Anspruches ausgewählt, da sie für die Gruppenarbeit verwendet werden sollen, die in der Grobplanung erläutert wird. Die Unterrichtseinheit soll neben dem analytischen Schwerpunkt um eine kreative Komponente erweitert werden. Deshalb ist geplant, dass die SuS eine kafkaeske Kurzgeschichte schreiben. Die SuS erhalten bereits am Ende der ersten Doppellektion diesen Auftrag, damit sie sich erstens zeitlich darauf einstellen können und zweitens ihren Blick bei der Interpretation schärfen. Das Skript, das die SuS in der ersten Doppellektion erhalten werden, enthält die gesamte Auswahl der zu lesenden Kurzgeschichten, damit die SuS zwecks ihrer kreativen Schreibarbeit stöbern können. Die eigene Kurzgeschichte als Produkt der selbstständigen Arbeit, die sie zuhause ausführen, muss erst am Ende der Unterrichtseinheit fertiggestellt sein. Eine Weiterführung der Unterrichtseinheit wäre mit dem Lesen der Erzählung „Die Verwandlung denkbar. Die SuS hätten als Ausgangslage ein Vorwissen, das Ihnen die Interpretation erleichtern könnte. Darüber hinaus würde ein weiterer thematischer Aspekt eingebaut werden, nämlich der Vater-Sohn-Konflikt, der in Kafkas Erzählungen eine grosse Rolle spielt. Neben dem Einbezug seiner eigenen Beziehung zu seinem Vater könnten die SuS Auszüge aus Kafkas Brief an den Vater lesen. Der VaterSohn-Konflikt wird im Zusammenhang mit den Kurzgeschichten aussen vor gelassen, da er thematisch eher zu Kafkas Romanen passt. 4. Groblernziele 4.1. Kognitive Lernziele Die SuS sind fähig, die Merkmale von Kurzgeschichten zu benennen. Die SuS können Stilmittel, die in den behandelten Kurzerzählungen verwendet werden, erkennen und für die Interpretation verwenden. Die SuS sind in der Lage, die Grundstimmung in der gelesenen Kurzprosa zu beschreiben. Die SuS können die Metaphern, die sie in den gelesenen Texten finden, deuten. Die SuS sind fähig, die erarbeiteten Erkenntnisse in ihre eigenen Kurzgeschichten einfliessen zu lassen. 10 4.2. Affektive Lernziele Die SuS sind fähig, ihrer emotionalen Einstellung in Bezug auf die Thematik der einzelnen Texte Ausdruck zu verleihen. Die SuS können mit der eigenen Kurzgeschichte ihre Weltsicht und ihre Empfindungen in Worte fassen. 4.3. Pragmatische Lernziele Die SuS erweitern durch die kreative Schreibarbeit ihre eigene Schreibkompetenz. Die SuS vertiefen bereits erlernte Interpretationsmethoden. 5. Grobplanung Erste Doppellektion: Einstieg in Kafkas Kurzprosa anhand eines Textanfangs Da die erste Doppellektion in der Feinplanung unter Punkt 5 ausgeführt wird, soll in der Grobplanung eine Redundanz vermieden werden. Wie im Untertitel ablesbar, dient die erste Doppellektion dem Einstieg in das Thema „Kafkas Kurzprosa am exemplarischen Beispiel der Kurzgeschichte „Der Steuermann. Zweite Doppellektion: Interpretation von „Vor dem Gesetz Zu Beginn der Stunde gibt es die Hausaufgaben-Kontrolle im Plenum. Zur thematischen Weiterführung müssen die SuS Kafkas „Vor dem Gesetz interpretieren. Dabei ist vor allem wichtig, dass sie die Thematik, Figuren, die Erzählweise und die sprachlichen Besonderheiten wie Motive, Schlüsselbegriffe und Metaphorik herausarbeiten. Das Ziel der Doppellektion wird es sein, in Einzel- und Partnerarbeit eine umfassende Interpretation der Erzählung zu erreichen. Je nach Arbeitsgeschwindigkeit und Qualität der Klassenarbeit sollen die SuS einen Vergleich mit einem Auszug aus Martin Bubers „Die Legende des Baalschem (siehe Anhang) wagen, wobei sie Analogien und Differenzen nachweisen sollen. Dies bedingt eine sehr textnahe und sorgfältige Interpretation und erweitert den Interpretationsspielraum insofern, als dass die SuS „Vor dem Gesetz noch besser verstehen können. Als Hausaufgabe müssen die SuS biografische Hintergrundinformationen über Franz Kafka erlernen. Dabei werden ihnen Auszüge aus Kafkas Tagebüchern, Aphorismen und biografische Daten in schriftlicher Form ausgeteilt. Die Tagebuchauszüge eignen sich insbesondere für das Verständnis seiner Weltsicht und werden erst zu diesem 11 Zeitpunkt den SuS zugänglich gemacht, weil davor eine textnahe und kreativere Interpretation ermöglicht werden sollte. Dritte Doppellektion: Interpretation mehrerer Kurzgeschichten Gruppenpuzzle Eingestiegen werden soll mit Hans Traxlers Karikatur über Kafka (Titelbild dieser Arbeit). Die SuS können anhand dessen, was sie als Hausaufgabe gelesen haben, die Karikatur deuten. Die Karikatur zeigt die übermässige Sensibilität und Ängstlichkeit Kafkas. Die fast überspitzte Darstellung soll den SuS vermitteln, dass sich hinter der Übertreibung ein wahrer Kern verbirgt, die Persönlichkeitszüge Kafkas offenbart. Deshalb dient der Einstieg ebenso der Hausaufgabenkontrolle. Im weiteren Verlauf der dritten Doppelstunde sollen die SuS die Kurzgeschichten „Eine alltägliche Verwirrung, „Von den Gleichnissen, „Eine kaiserliche Botschaft und „Der Kreisel interpretieren, wobei diese bewusst durchnummeriert sind. Die vier Kurzgeschichten werden den SuS in Gruppen zugeteilt, sodass jede Gruppe eine Geschichte interpretiert. Im Anschluss an die selbstständige Interpretation werden die SuS aufgefordert, sich in Form eines Gruppenpuzzles zusammenzusetzen. Jeder Experte seiner eigenen interpretierten Kurzgeschichte erklärt sie nun den anderen Mitgliedern, die auf einem Blatt die Antworten aufschreiben. Das Gruppenpuzzle hat zwar den Nachteil, dass die Lehrperson eine geringere Lernkontrolle besitzt. Dennoch kann der Lehrer durch die Reihen gehen und in das Gespräch hineinhören. Die Vorteile sind zahlreich: Neben der Rhythmisierung ermöglicht das Gruppenpuzzle eine Art Rollenspiel. Die SuS werden zu Experten und erklären den Stoff, d. h., sie übernehmen die Funktion des Lehrenden. Da man durch Lehren zugleich auch lernt, ist diese Methode sehr einträglich und abwechslungsreich, weil man innerhalb der Gruppe ebenso als Zuhörer fungiert. Die SuS erhalten eine Hausaufgabe. Sie sollen „Auf der Galerie lesen und ein passendes Bild dazu suchen, das sie in die nächste Stunde mitbringen. Der Aufwand ist absichtlich gering, damit die SuS den Feinschliff an ihrer Kurzgeschichte vornehmen können. Vierte Doppellektion: „Auf der Galerie Präsentation eigener Kurzgeschichten Die SuS haben „Auf der Galerie gelesen und ein Bild dazu ausgesucht, das sie in die vierte Doppellektion mitbringen. In Partnerarbeit sollen die SuS nun die Wahl des 12 Bildes begründen. Die Begründung der Wahl ermöglicht den Austausch und Vergleich. In einem weiteren Schritt müssen die SuS nach dem analogen Interpretationsverfahren aus den vorangehenden Lektionen die Kurzgeschichte interpretieren. Die Interpretation von „Auf der Galerie schliesst und rundet den Analyseteil der Unterrichtseinheit ab. Der letzte Teil der Lektion steht im Fokus der eigenen Kurzgeschichten. Die Lehrperson teilt das gedruckte Heft mit allen Kurzgeschichten aus, das jede Schülerin, jeder Schüler erhält. Zudem sind alle Kurzgeschichten auf losen Blättern gedruckt, damit sie im Klassenzimmer aufgehängt werden können. In einer Art Ausstellung sollen die SuS die Kurzgeschichten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler lesen und sich nach Lust und Laune austauschen. Die Lehrperson informiert gegen Ende der Lektion die SuS, dass die Note in der folgenden Stunde mitgeteilt wird. Zum Ende der Unterrichtseinheit werden die SuS um ein schriftliches Feedback gebeten. Der Lehrer spricht anschliessend die abschliessenden Worte und bedankt sich für die Zusammenarbeit. 13 6. Feinplanung Lernziele der Doppellektion: Die SuS sind fähig, eine Fortsetzung der Kurzgeschichte „Der Steuermann innerhalb der gegebenen Zeit zu schreiben. Die SuS erkennen die pessimistische Grundstimmung in „Der Steuermann. Die SuS sind in der Lage, die Metaphern in „Der Steuermann zu erkennen. Die SuS verstehen, dass es in „Der Steuermann um die Frage von Macht und Recht geht. 1. Lektion Zeit (Min.) UF Handlungen Lp 3‘ LV Begrüssung der SuS, dann Einstieg anhand der Folie mit dem Textanfang von Kafkas „Der Steuermann (s. Anhang). Lp erklärt, dass es sich um den Textanfang einer Kurzgeschichte handelt. Der Autor wird nicht genannt. Die Lp wählt eine Schülerin oder einen Schüler aus, die bzw. der vorlesen muss. 2‘ EA 1‘ LV 15‘ EA 5‘ LV Handlungen SuS Material Folie mit Textanfang von Kafkas „Der Steuermann (bis „Ein Fremder hat mich vom Steuer vertrieben!). Eine Schülerin, ein Schüler liest den Textanfang vor. Lp bedankt sich für das Vorlesen und deckt den AA auf: Schreiben Sie eine Fortsetzung der Kurzgeschichte (ca. 5 Zeilen). Achten Sie dabei auf eine sinnvolle, plausible Fortsetzung. Lp geht durch die Reihen, beobachtet und unterstützt SuS schreiben eine Fortbzw. mahnt gegebenenfalls und achtet auf die Zeit. setzung der Kurzgeschichte in Einzelarbeit. Lp erklärt den nächsten Schritt: Die SuS sollen von 1-4 zählen. Anschliessend sollen sich diejenigen SuS mit derselben Nummer zu einer Gruppe zusammen14 Folie mit dem Textanfang. Eigenes Schreibmaterial der SuS. Wandtafel. 4‘ 15‘ EA schliessen und gegenseitig die Fortsetzungen vorlesen. Die anderen Gruppenmitglieder geben ein kurzes Feedback und achten auf folgende Punkte, die auf die Tafel geschrieben werden: Ist der Schluss sinnvoll und plausibel? Wurde der Stil des Textes getroffen? Lp achtet darauf, dass der Vorgang rasch abläuft. Zudem stellt die Lp sicher, dass die SuS sich so hinsetzen, dass sie sich anschauen können, sprich um den Tisch herum. Lp achtet auf die konsequente Ausführung des Auftrages. GA SuS zählen von 1-4 und setzen sich daraufhin entsprechend zusammen. SuS lesen die Fortsetzun- Eigene Blätter mit den gen vor, die anderen in Fortsetzungen. der Gruppe geben Feedback. 2. Lektion Zeit (Min.) UF 5‘ LV 2‘ LV 20‘ EA PA 15‘ UG Handlungen Lp Handlungen SuS Lp teilt das Skript zur gesamten Unterrichtseinheit aus und erklärt dessen Aufbau sowie das Thema der Unterrichtseinheit. Zugleich wird darauf aufmerksam gemacht, dass zuhause innerhalb der nächsten Wochen eine kafkaeske Kurzgeschichte geschrieben werden soll. Auf die ausführliche Anleitung im Skript wird verwiesen. Lp verweist auf den Arbeitsauftrag im Skript unter „Der Steuermann. Skript. Skript. SuS lösen den AA. Besprechung der Antworten im Plenum. Lp schreibt Lösungsvorschläge auf Folie und ergänzt gegebenenfalls. 15 Material Skript, Schreibmaterial der SuS. SuS geben (notfalls nach Skript, Folie, eigenes Aufruf) ihre Lösungsvor- Schreibmaterial der schläge und ergänzen ge- SuS. gebenenfalls. Lp erteilt die Hausaufgabe, die auf Folie geschrieben SuS schreiben sich die Folie. steht: Hausaufgabe auf. 3‘ LV EA Lesen Sie die Kurzgeschichte „Vor dem Gesetz und beantworten Sie dabei folgende Frage: Welche Merkmale von Kurzgeschichten erkennen Sie wieder? Unter der Kurzgeschichte stehen stichpunktartig die Merkmale von Kurzgeschichten, auf welche die Lp kurz eingehen wird. Legende: UF: Unterrichtsform UG: Unterrichtsgespräch (im Plenum) LV: Lehrervortrag EA: Einzelarbeit PA: Partnerarbeit GA: Gruppenarbeit Lp: Lehrperson SuS: Schülerinnen und Schüler 16 7. Literaturverzeichnis Arnold, Heinz Ludwig: Franz Kafka. Text Kritik, München 1994. Sammelband mit unterschiedlichen Aufsätzen zu seinen Erzählungen sowie den Tagebüchern. Geeignet für fundierte Informationen. Beicken, Peter: Franz Kafka. Leben und Werk ( Editionen für den Literaturunterricht), Stuttgart 1986. Handbuch zu Kafkas Biografie und Werk. Gut geeignet als Übersicht und Nachschlagewerk. Auf den Literaturunterricht und somit auch auf Lehrpersonen ausgerichtet. Hansen-Löve, Aage A.: Vor dem Gesetz, in: Interpretationen Franz Kafka. Romane und Erzählungen, Stuttgart 1994, S. 146-157. Interpretation von „Vor dem Gesetz. Für SuS evtl. zu wissenschaftlich und deshalb weniger geeignet; für Lehrpersonen adäquat. Hermes, Roger: Auf der Galerie, in: Interpretationen Franz Kafka. Romane und Erzählungen, Stuttgart 1994, S. 215-222. Interpretation von „Auf der Galerie. Für SuS evtl. zu wissenschaftlich und deshalb weniger geeignet; für Lehrpersonen adäquat. Kroemer, Roland Zander, Thomas: Franz Kafka. Erzählungen und Parabeln ( EinFach Deutsch Unterrichtsmodell), Paderborn, Schöningh 2008. Geeignet für Lehrpersonen als Anregung und zur Verwendung von Vorlagen. Bausteine stehen exemplarisch für einzelne Unterrichtsblöcke, die in adaptierter Form auch übernommen werden können. Meurer, Reinhard: Franz Kafka. Erzählungen ( Oldenbourg Interpretationen mit Unterrichtshilfen, Band 18), München 21988. Äusserst fundierte Interpretationen von Kafkas Erzählungen sowie Unterrichtsvorschläge, die als Anregung dienen können. Schurf, Bernd u.a. (Hg.): Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe, Berlin 2009. Bedarf keines Kommentars, da im Fachdidaktik-Kurs jedem bekannt. Schurf, Bernd u.a. (Hg.): Texte, Themen und Strukturen. Handreichungen für den Unterricht. Mit Kopiervorlagen zur Leistungsmessung, Berlin 2010. Dazugehöriger Lehrerband. Spörl, Uwe: Basislexikon Literaturwissenschaft, Paderborn 2004. Geeignetes Nachschlagewerk für literaturwissenschaftliche Begriffe und Definitionen sowie Beispiele. Werner, Rainer: Kafkas Kurzprosa und „Die Verwandlung. Oberstufe ( Stundenblätter Deutsch), Leipzig 2004. Anregungen für eine Unterrichtseinheit zu Kafkas Kurzprosa mit Sachanalyse, didaktischer Analyse, Unterrichtsvorschlägen, Klausurvorschlägen sowie Weiterführungsideen. Gute Hilfe bei der Planung der eigenen Unterrichtseinheit, besonders für die analytischen Teile. 17 8. Anhang Das folgende Skript „Kafkas Kurzprosa – eine Auswahl für den Unterricht wird an die SuS in der ersten Doppellektion ausgeteilt (abgesehen vom Erwartungshorizont und den Fussnoten, die natürlich nicht in der auszuteilenden Fassung stehen werden). 18 Kafkas Kurzprosa – eine Auswahl für den Unterricht 19 Franz Kafka: Der Steuermann (1920) »Bin ich nicht Steuermann?« rief ich. »Du?«, fragte ein dunkler hoch gewachsener Mann und strich sich mit der Hand über die Augen als verscheuche er einen Traum. Ich war am Steuer gestanden in der dunklen Nacht, die schwach brennende Laterne über meinem Kopf und nun war dieser Mann gekommen und wollte mich beiseite schieben. Und da ich nicht wich, setzte er mir den Fuß auf die Brust und trat mich langsam nieder, während ich immer noch an den Naben des Steuerrades hing und beim Niederfallen es ganz herumriss. Da aber fasste es der Mann, brachte es in Ordnung, mich aber stieß er weg. Doch ich besann mich bald, lief zu der Luke, die in den Mannschaftsraum führte und rief: »Mannschaft! Kameraden! Kommt schnell! Ein Fremder hat mich vom Steuer vertrieben!« Langsam kamen sie, stiegen auf aus der Schiffstreppe, schwankende müde mächtige Gestalten. »Bin ich der Steuermann?« fragte ich. Sie nickten, aber Blicke hatten sie nur für den Fremden, im Halbkreis standen sie um ihn herum und als er befehlend sagte: »Stört mich nicht«, sammelten sie sich, nickten mir zu und zogen wieder die Schiffstreppe hinab. Was ist das für ein Volk! Denken sie auch oder schlurfen sie nur sinnlos über die Erde? (Von der CD-ROM aus: Werner, Rainer: Kafkas Kurzprosa und „Die Verwandlung. Oberstufe ( Stundenblätter Deutsch), Leipzig 2004). Arbeitsaufträge (20‘): 1. Vergleichen Sie die Fortsetzung von Kafkas „Der Steuermann mit Ihrer eigenen. Welche Unterschiede fallen Ihnen auf? Halten Sie diese in tabellarischer Gegenüberstellung fest. 2. Besprechen Sie mit Ihrem Banknachbarn Ihre Gegenüberstellungen. Was fällt Ihnen auf? Halten Sie die Ergebnisse stichwortartig fest. 3. Erklären Sie das Verhalten der Mannschaft. Warum steht sie dem Steuermann nicht bei? 4. Im zweitletzten Satz heisst es „Was ist das für ein Volk!. Begründen Sie, weshalb der Steuermann „Volk sagt. Tauschen Sie sich mit Ihrem Banknachbarn aus. Erwartungshorizont: 1. Die SuS erstellen eine Tabelle und notieren sich die Unterschiede. Ich erwarte, dass den meisten das pessimistische, nicht auf Lösung bedachte Ende als Kontrast zu ihrer eigenen Version auffallen wird. Damit sollen die SuS eine der Grundhaltungen Kafkas kennenlernen. 2. siehe 1. 3. Die Mannschaft erkennt zwar den Steuermann als rechtmässigen Steuermann, aber traut sich nicht, dem Fremden Einhalt zu gebieten – trotz Überzahl. Wieso tun sie das nicht? An der Stärke liegt es sicherlich nicht. Sie werden als „schwankende müde mächtige Gestalten beschrieben. Sie sind also zum einen in Überzahl, dazu noch körperlich stark – aber schwankend. Ob sie nun schwankend sind, weil sie betrunken sind oder ob möglicherweise ihre Angst oder Feigheit der Grund für ihre Zurückhaltung darstellt, ist unklar. Fest steht, dass die Mannschaft trotz der überlegenen Ausgangslage den Steuermann im Stich lässt und sich passiv verhält. 4. Das Wort „Volk im zweitletzten Satz eröffnet als Hinweis die eigentliche Interpretation. Eigentlich wirkt es im ersten Moment paradox, denn wie kann eine Mannschaft ein Volk sein? Es ist eindeutig abschätzig gemeint und dehnt die Bedeutung der Kurzgeschichte auf eine allgemeine Gesellschaftssituation aus. Wenn die Mannschaft symbolisch für das Volk steht, dann wird der Steuermann auch mehr sein. Er steuert das Schiff – vielleicht also einen Staat. Doch der rechtmässige Steuermann wird von einem Fremden verdrängt, von einer fremden Macht. Und was tut das Volk dagegen? Nichts. Im Plenum kann als Fazit festgehalten werden, dass die Isolation des Einzelnen angesichts brutaler Herrschaft das Thema des Textes sein soll. Übertragen auf totalitäre Staatssysteme 20 bedeutet dies, dass das Volk die brutale Herrschaft eines offensichtlich unrechtmässigen Menschen zulässt, obwohl die Möglichkeit zum Widerstand besteht. Die Grundfrage bei diesem Text ist also die Frage nach Macht und Recht – ein Thema, das auch heute von absoluter Aktualität ist, wenn man beispielsweise an den Arabischen Frühling denkt und an die Diktatoren Gaddafi, Assad etc. Franz Kafka: Vor dem Gesetz (1915) Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. »Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.« Da das Tor zum Gesetz offen steht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt: »Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kann nicht einmal ich mehr ertragen.« Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen, schwarzen tatarischen Bart, entschließt er sich, doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen Schemel und lässt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen. Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden, und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, dass er ihn noch nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und, sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei: »Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.« Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast ununterbrochen. Er vergisst die andern Türhüter und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muss sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zu ungunsten des Mannes verändert. »Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der Türhüter, »du bist unersättlich.« »Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wieso kommt es, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?« Der Türhüter erkennt, dass der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: »Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.« (Von der CD-ROM aus: Werner, Rainer: Kafkas Kurzprosa und „Die Verwandlung. Oberstufe ( Stundenblätter Deutsch), Leipzig 2004). Merkmale einer Kurzgeschichte: Äussere Umfangsbegrenzung Kürze, Verdichtung des Geschehens auf ein Minimum, das aber von besonderer Bedeutung ist, Wiedergabe des Geschehens durch erlebte Rede, inneren Monolog (deshalb oft IchErzähler), Geschichte beginnt mitten im Geschehen und hat ein offenes Ende, Sprache und Thematik sind alltäglich, stilistische Mittel wie Metaphern, Mehrdeutigkeiten, Andeutungen. 21 (1) Franz Kafka: Eine alltägliche Verwirrung (1917) Ein alltäglicher Vorfall; sein Ertragen ein alltäglicher Heroismus. A. hat mit B. aus dem Nachbardorf H. ein wichtiges Geschäft abzuschließen. Er geht zur Vorbesprechung nach H, legt den Hin- und Herweg in je zehn Minuten zurück und rühmt sich zu Hause dieser besonderen Schnelligkeit. Am nächsten Tag geht er wieder nach H, diesmal zum endgültigen Geschäftsabschluss; da dieser voraussichtlich mehrere Stunden erfordern wird, geht A. schon frühmorgens aus; trotzdem aber alle Nebenumstände, wenigstens nach A.s Meinung, völlig die gleichen sind wie am Vortag, braucht er diesmal zum Weg nach zehn Stunden. Als er dort ermüdet abends ankommt, sagt man ihm, dass B. ärgerlich wegen A.s Ausbleiben vor einer halben Stunde zu A. in sein Dorf hinüber gegangen sei; sie hätten einander eigentlich treffen müssen. Man rät A. zu warten, B. müsse ja gleich zurückkommen. A. aber, in Angst wegen des Geschäftes, macht sich sofort auf und eilt nach Hause. Diesmal legt er den Weg, ohne besonders darauf zu achten, geradezu in einem Augenblick zurück. Zu Hause erfährt er, B. sei doch schon gleich früh angekommen, noch vor dem Weggang A.s, ja, er habe A. im Haustor getroffen, ihn an das Geschäft erinnert, aber A. habe gesagt, er hätte jetzt keine Zeit, er müsse jetzt eiligst fort. Trotz dieses unverständlichen Verhaltens A.s sei aber B. doch hier geblieben um auf A. zu warten. Er habe zwar schon oft nachgefragt, ob A. zurückgekommen sei, befinde sich aber noch immer oben in A.s Zimmer. Glücklich darüber, B. jetzt noch sprechen und ihm alles erklären zu können läuft A. die Treppe hinauf. Schon ist er fast oben, da stolpert er, erleidet eine Sehnenzerrung und fast ohnmächtig vor Schmerz, unfähig sogar zu schreien, nur winselnd im Dunkel, hört und sieht er, wie B., undeutlich ob in großer Ferne oder knapp neben ihm, wütend die Treppe hinunterstampft und endgültig verschwindet. (Von der CD-ROM aus: Werner, Rainer: Kafkas Kurzprosa und „Die Verwandlung. Oberstufe ( Stundenblätter Deutsch), Leipzig 2004). (2) Franz Kafka: Von den Gleichnissen (1912) Viele beklagten sich, dass die Worte der Weisen immer wieder nur Gleichnisse seien, aber unverwendbar im täglichen Leben und nur dieses allein haben wir. Wenn der Weise sagt: »Gehe hinüber« so meint er nicht, dass man auf die andere Straßenseite hinübergehn solle, was man immerhin noch leisten könnte, wenn das Ergebnis des Weges wert wäre, sondern er meint irgendein sagenhaftes Drüben, etwas was wir nicht kennen, was auch von ihm nicht näher zu bezeichnen ist und was uns also hier gar nichts helfen kann. Alle diese Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, dass das Unfassbare unfassbar ist und das haben wir gewusst. Aber das womit wir uns eigentlich jeden Tag abmühn, sind andere Dinge. Darauf sagte einer: Warum wehrt ihr euch? Würdet ihr den Gleichnissen folgen, dann wäret ihr selbst Gleichnisse geworden und damit schon der täglichen Mühe frei. Ein anderer sagte: Ich wette dass auch das ein Gleichnis ist. Der erste sagte: Du hast gewonnen. Der zweite sagte: Aber leider nur im Gleichnis. Der erste sagte: Nein, in Wirklichkeit; im Gleichnis hast du verloren. (Von der CD-ROM aus: Werner, Rainer: Kafkas Kurzprosa und „Die Verwandlung. Oberstufe ( Stundenblätter Deutsch), Leipzig 2004). (3) Franz Kafka: Eine kaiserliche Botschaft (1917) Der Kaiser – so heißt es – hat Dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade Dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat er beim Bett niederknien lassen und ihm die Botschaft ins Ohr zugeflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, dass er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt. Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes – alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Großen des Reichs – vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt. Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer. Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende. Öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest Du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an Deiner Tür. Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die 22 Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müsste er sich kämpfen; und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen – liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – (Von der CD-ROM aus: Werner, Rainer: Kafkas Kurzprosa und „Die Verwandlung. Oberstufe ( Stundenblätter Deutsch), Leipzig 2004). (4) Franz Kafka: Der Kreisel (1920) Ein Philosoph trieb sich immer dort herum, wo Kinder spielten. Und sah er einen Jungen, der einen Kreisel hatte, so lauerte er schon. Kaum war der Kreisel in Drehung, verfolgte ihn der Philosoph, um ihn zu fangen. Dass die Kinder lärmten und ihn von ihrem Spielzeug abzuhalten suchten, kümmerte ihn nicht, hatte er den Kreisel, solange er sich noch drehte, gefangen, war er glücklich, aber nur einen Augenblick, dann warf er ihn zu Boden und ging fort. Er glaubte nämlich, die Erkenntnis jeder Kleinigkeit, also zum Beispiel auch eines sich drehenden Kreisels, genüge zur Erkenntnis des Allgemeinen. Darum beschäftigte er sich nicht mit den großen Problemen, das schien ihm unökonomisch. War die kleinste Kleinigkeit wirklich erkannt, dann war alles erkannt, deshalb beschäftigte er sich nur mit dem sich drehenden Kreisel. Und immer wenn die Vorbereitungen zum Drehen des Kreisels gemacht wurden, hatte er Hoffnung, nun werde es gelingen, und drehte sich der Kreisel, wurde ihm im atemlosen Laufen nach ihm die Hoffnung zur Gewissheit, hielt er aber dann das dumme Holzstück in der Hand, wurde ihm übel und das Geschrei der Kinder, das er bisher nicht gehört hatte und das ihm jetzt plötzlich in die Ohren fuhr, jagte ihn fort, er taumelte wie ein Kreisel unter einer ungeschickten Peitsche. (www.textlog.de/32084.html) Franz Kafka: Auf der Galerie (1917) Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, rief das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters. Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Salto mortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen. (www.textlog.de/32066.html) 23 Martin Buber: Die Legende des Baalschem (1917, Auszug) (Aus: Texte, Themen und Strukturen. Deutschbuch für die Oberstufe, Berlin 2009, S. 33). 24 Sie schreiben eine kafkaeske Kurzgeschichte: Vorgehen: Sie schreiben im Stil von Kafka eine Kurzgeschichte. Orientieren Sie sich dabei an dem, was Sie im Unterricht über den Schreibstil und die Lebenseinstellungen Kafkas lernen. Wie schreibt Kafka? Welcher stilistischen Mittel bedient er sich? Wie werden die Personen beschrieben? Aus welcher Perspektive wird berichtet? Welche Sicht wird eingenommen (Innensicht, Aussensicht)? Welche Stimmung (Freude, Trauer, Optimismus, Pessimismus) herrscht im Text? Wie ist das Ende? Thematisch haben Sie freie Wahl. Beachten Sie ebenfalls die Merkmale von Kurzgeschichten. Umfang: Ca. eine halbe Seite A4, 1,5-Zeilen Abstand, Schriftart Arial, Schriftgrösse 12. Fristen: Die Abgabe der Endfassung ist am Tag vor der letzten Doppelstunde, spätestens um 18 Uhr per E-Mail an mich. Hinweis: Die Kurzgeschichte schreiben Sie ausschliesslich ausserhalb des Unterrichts. Bewertungskriterien5: Inhalt (eine ganze Note, je 0-4 Punkte) Kreativität, Originalität, gedankliche Tiefe Zusammenhalt des Textes (Aufbau, Verfolgen eines roten Fadens) Dichte (Atmosphäre, Spannung, nichts Überflüssiges) Sprache (eine ganze Note, je 0-4 Punkte) Korrektheit (Rechtschreibung, Zeichensetzung) Satzbau (Konstruktionen) Wortschatz (Differenziertheit) Maximal erreichbare Punktzahl in Inhalt oder Sprache: 12 (insgesamt 24 Punkte). Die Note errechnet sich jeweils aus der Formel6 (erreichte Punktzahl maximale Punktzahl) 5 1. Die daraus resultierende Note wird auf die nächste Viertelnote gerundet. Beispiel: Bei einer Punktzahl von je 10 Punkten ergibt das folgende Rechnung: (10/12) 5 1 5,16 wird gerundet auf 5,25. Arithmetisches Mittel von beiden Noten 5,25. 5 6 Die Bewertungskriterien habe ich einem Skript von Frau Greiner entnommen. Diese Formel wurde mir von Herrn Peter Engel (KV Liestal) empfohlen, bei dem ich mein P1 in Geschichte absolviert habe. 25 (Ich rechne: Jemand erreicht im Inhalt oder in Sprache die Maximalpunktzahl: 4 5 1 21; Note???) Die daraus resultierende Note wird auf die nächste Viertelnote mathematisch gerundet. Von: 26 Jetzt können Sie sich an Ihre Erstversion machen • Eine Kurzgeschichte ist wie ein Eisberg: Nur der kleinste Teil ist sichtbar. • Beschreibungen unbedingt vermeiden! • Personen, Umstände, Stimmungen, Örtlichkeiten – alles ist in Handlung aufzulösen. • Sparen Sie sich überdeutliche Erklärungen. Kurzgeschichten leben von Andeutungen! 27