Arbeitsblatt: Fabeln

Material-Details

Theorie zum Thema Fabeln
Deutsch
Leseförderung / Literatur
6. Schuljahr
10 Seiten

Statistik

89026
1445
12
03.11.2011

Autor/in

vanisol (Spitzname)
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Die Fabel 1. Einleitung Der Begriff „Fabel geht auf das lateinische Wort „fabula (Geschichte, Erzählung, Gespräch) zurück. Fabel bezeichnet heute die typische Art der Tierdichtung in Vers oder Prosa (ungedichtete Literatur), die eine allgemein anerkannte Wahrheit, einen moralischen Lehrsatz oder eine praktische Lebensweisheit veranschaulicht. Meistens macht sie dies mit der Übertragung menschlicher Verhaltensweisen auf die Tierwelt. Beispiel 1: Gotthold Ephraim Lessing: Der Esel und der Wolf Ein Esel begegnete einem hungrigen Wolf. „Habe Mitleid mit mir, sagte der zitternde Esel, „ich bin nur ein armes, krankes Tier; sieh nur, was für einen Dorn ich mir in den Fuss getreten habe! „Wahrhaftig, du dauerst mich, versetzte der Wolf, „und ich finde mich mit meinem Gewissen verbunden, dich von diesen Schmerzen zu befreien. Kaum war das Wort gesagt, so war der Esel zerrissen. Typische Erkennungsmerkmale der Fabel „Der Esel und der Wolf enthält alle wichtigen typischen Fabel: • als Akteure (Handelnde) • die Typisierung der Figuren (der böse, hinterlistige Wolf; der einfältige Esel) • der pointierte Schluss • Kürze und Prägnanz (Eindeutigkeit) Elemente und Gestaltungsprinzipien einer • • • • • die Dreigliedrigkeit den geringstmöglichen Umfang der Wirklichkeitsbezug die versteckte Aussageabsicht die Gesellschaftskritik 2. Bedeutende Autoren Die Herkunft der Fabeln ist umstritten. Der Sklave Aesop (um 550 vor Chr.) soll angeblich als erster Fabeln indischer und griechischer Herkunft gesammelt und aufgezeichnet haben. Dass sein Name untrennbar mit der Geschichte der Fabel verbunden ist, erklärt sich zum einen aus der grossen Zahl und der Qualität seiner Fabeln, zum anderen aus der Tatsache, dass zahlreiche Fabeldichter späterer Zeiten auf seine Fabeln zurückgreifen und seine Motive, sein Figureninventar und sein Erzählschema oft nur variieren Im deutschen Sprachraum wurde die Fabel oft als Instrument verwendet, um die Leute von wichtigen Ansichten zu überzeugen. In der Reformationszeit (16. Jahrhundert) nutzte Luther die Fabel, um seine religiös-moralischen Ansichten zu veranschaulichen. Er hat erkannt, dass anschauliche Geschichten, in denen dem falsch Handelnden irgendein Schaden zustösst, mehr bewirken als theoretisch gepredigte Moralvorstellungen. Eine Hochblüte erlebte die Fabel im 18. Jahrhundert in der Zeit der Aufklärung. Bedeutende Autoren dieser Zeit waren La Fontaine, Gellert, Gleim und Hagedorn und Lessing. Dass die Fabel auch im 20. Jahrhundert nicht tot ist beweist beispielsweise James Thurber. 3. Realitätsbezug und die didaktisch kritische Absicht der Fabel Aesop zog durch die Länder Kleinasiens und Griechenlands und erzählte seine Fabeln, in denen er soziale Ungerechtigkeiten und menschliches Fehler anprangerte. Selbst Mächtigen gegenüber äusserte er Kritik und er versuchte, ihr Verhalten durch seine Fabeln zu beeinflussen. Dabei ergriff er stets die Partei der Schwachen, Unterdrückten oder Misshandelten. Seine kritische Haltung brachte Aesop häufig in Konflikt mit der Regierung. Doch selbst in schwierigen Situationen äusserte er im Schutz der Fabeln seine Kritik. In Delphi geriet Aesop so in Streit mit der Priesterschaft, die seinen Einfluss auf das Volk fürchtete. Aus Angst vor 1 dem Volk liessen die Priester ihn heimlich verhaften; er wurde in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt. Auf dem Weg zum Felsen, von dem Aesop hinabgestürzt werden sollte, erzählte er die Fabel von „Maus und Frosch – einerseits in der Absicht, seine eigene Situation zu veranschaulichen; andererseits, um die Priester zu warnen und sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Beispiel 2: Aesop: Maus und Frosch Als Aesop einmal durch Griechenland zog, erwarb er sich den Ruf, ein sehr weiser Mann zu sein. Zuletzt kam er nach Delphi, der Stadt mit dem Sitz der obersten Priesterschaft. Dort folgten ihm viele Menschen, weil sie ihm zuhören wollten; von den Priestern aber wurde er nicht ehrenvoll empfangen. Da sagte Aesop: „Ihr Männer von Delphi, ihr seid wie das Holz, das vom Meer an den Strand geschwemmt wird. Solange es fern ist, scheint es gross zu sein, wenn es aber nahe herangekommen ist, dann sieht man, dass es in Wirklichkeit klein ist. So ging es auch mir mit euch. Solange ich noch weit von eurer Stadt entfernt war, dachte ich, dass ihr die Vornehmsten von allen wäret, jetzt aber, in eurer Nähe, erkenne ich, dass ihr nicht viel taugt. Als die Priester solche Reden hörten, sagten sie zueinander: „Es könnte sein, dass unter solcher üblen Nachrede unser Ansehen leidet oder dass wir es sogar ganz verlieren. Wir müssen also auf unserer Hut sein! Da beratschlagten sie, auf welche Weise sie ihn unter dem Vorwand, er sei ein böser Kirchenräuber, töten könnten; denn sie wagten es wegen des Volkes nicht, ihn öffentlich töten zu lassen. So liessen sie aufpassen, bis der Knecht Aesops die Sachen seines Herrn für die Abreise zusammenpackte. Da nahmen sie eine goldene Schale aus dem Tempel und versteckten sie heimlich im Reisegepäck Aesops. Aesop wusste von diesen hinterhältigen Machenschaften nichts. Als er nach Phokis zog, eilten die Priester ihm nach und nahmen ihn gefangen. Und als Aesop sie fragte, warum sie ihn gefangen nähmen, schrien sie: „Du unanständiger Mensch, du Verbrecher! Warum hast du unseren Tempel beraubt? Als Aesop sich über diese Beschuldigung entrüstete, öffneten die Priester sein Bündel und fanden die goldene Schale. Die zeigten sie jedem und führten Aesop wie einen Kirchenräuber ins Gefängnis. Aesop bat, man möge ihn freilassen. Die Priester aber verurteilten ihn, weil er sich des Kirchenraubs schuldig gemacht habe, und führten ihn aus dem Gefängnis, um ihn von einem Felsen hinabzustossen. Als Aesop das merkte, sprach er zu ihnen: Zu der Zeit, als die unvernünftigen Tiere noch in Frieden miteinander lebten, gewann eine Maus einen Frosch lieb und lud ihn zum Nachtmahl ein. Sie gingen miteinander in die Speisekammer eines reichen Mannes, in der sie Brot, Honig, Feigen und mancherlei leckere Sachen fanden. Da sprach die Maus zum Frosch: „Nun iss von diesen Speisen, welche dir am besten schmecken! Als sie sich nach Herzenslust satt gefressen hatten sprach der Frosch zu der Maus: „Nun sollst du auch meine Speisen versuchen. Komm mit mir! Weil du aber nicht schwimmen kannst, will ich deinen Fuss an meinen binden, damit dir kein Leid geschieht. Als er aber die Füsse zusammengebunden hatte sprang der Frosch ins Wasser und zog die Maus mit sich hinab. Als die Maus merkte, dass sie sterben musste, begann sie zu schreien und klagte: „Ich werde ohne Schuld das Opfer gemeiner Hinterlist. Aber von denen, die am Leben bleiben, wird einer kommen, der meinen Tod rächt. Während sie das sagte, kam ein Habicht heran, ergriff die Maus und den Frosch und frass sie beide. So werde ich ohne Schuld von euch getötet, und ihr werdet um der Gerechtigkeit willen dafür bestraft. Obwohl die Priester das hörten, liessen sie ihn nicht los, sondern führten ihn an die Stelle, wo er sterben sollte. 2 Der Verlauf der Fabel ist der realen Situation auffallend gleich. In der Realität ist es die Priesterschaft, die den unschuldigen Dichter ums Leben bringt; in der Fabel ist es der Frosch, der der Maus zum Verhängnis wird. Auf die Realität bezogen lehrt diese Fabel: In dem hier geschilderten Fall kämpft Aesop mit der Fabel für sich selbst. Bei anderen Gelegenheiten nutzt er die Fabel im Kampf für die Unterdrückten. 4. Vergleich verschiedener Fabel-Versionen Oft genügt eine kleine Variation (Abänderung), um eine andere Aussageabsicht zum Ausdruck zu bringen. Beispiel 3a: Martin Luther: Vom Raben und Fuchs Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, setzte sich auf einen hohen Baum und wollte den Käse verzehren. Da er aber seiner Art nach nicht schweigen kann wenn er isst, hörte ihn ein Fuchs über dem Käse kecken, lief zu ihm und sprach: „O Rab, nun hab ich mein Lebtag keinen schöneren Vogel gesehen von Federn und Gestalt als du bist. Und wenn du auch so eine schöne Stimme hättest zum singen, so sollt man dich zum König krönen über alle Vögel. Den Raben kitzelte solch Lob und Schmeicheln, fing an und wollt seinen schönen Gesang hören lassen. Und als er den Schnabel auftat, entfiel ihm der Käse; den nahm der Fuchs behänd, frass ihn und lachte den törichten Raben aus. Beispiel 3b: Gotthold Ephraim Lessing: Der Rabe und der Fuchs Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner für die Katzen seines Nachbarn hingeworfen hatte, in seinen Klauen fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren, als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: „Sei mir gesegnet, Vogel des Jupiter! „Für wen siehst du mich an?, fragte der Rabe. „Für wen ich dich ansehe?, erwiderte der Fuchs. „Bist du nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf diese Eiche herabkommt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt? Der Rabe erstaunte und freute sich sehr, für einen Adler gehalten zu werden. „Ich muss, dachte er, „den Fuchs aus diesem Irrtume nicht bringen. Grossmütig dumm liess er ihm also seinen Raub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch lachend auf und frass es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu wirken und er verreckte. Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte Schmeichler! Beispiel 3c: James Thurber: Der Fuchs und der Rabe Der Anblick eines Raben, der auf einem Baum sass, und der Geruch des Käses, den er im Schnabel hatte, erregten die Aufmerksamkeit eines Fuchses. „Wenn du ebenso schön singst, wie du aussiehst, sagte er, „dann bist du der beste Sänger, den ich je erspäht und gewittert habe. Der Fuchs hatte irgendwo gelesen – und nicht nur einmal, sondern bei den verschiedensten Dichtern, dass ein Rabe mit Käse im Schnabel sofort den Käse fallen lässt 3 und zu singen beginnt, wenn man seine Stimme lobt. Für diesen besonderen Fall und diesen besonderen Raben traf das jedoch nicht zu. „Man nennt dich schlau, und man nennt dich verrückt, sagte der Rabe, nachdem er den Käse vorsichtig mit den Krallen seines rechten Fusses aus dem Schnabel genommen hatte. „Aber mir scheint, du bist zu allem Überfluss auch noch kurzsichtig. Singvögel tragen bunte Hüte, farbenprächtige Jacken und helle Westen, und von ihnen gehen zwölf aufs Dutzend. Ich dagegen trage Schwarz und bin absolut einmalig. „Ganz gewiss bist du einmalig, erwiderte der Fuchs, der zwar schlau, aber weder verrückt noch kurzsichtig war. „Bei näherer Betrachtung erkenne ich in dir den berühmtesten und talentiertesten aller Vögel, und ich würde dich gar zu gern von dir erzählen hören. Leider bin ich hungrig und kann mich daher nicht länger hier aufhalten. „Bleib doch noch ein Weilchen, bat der Rabe. „Ich gebe dir auch etwas von meinem Essen ab. Damit warf er dem listigen Fuchs den Löwenanteil vom Käse zu und fing an, von sich zu erzählen. „Ich bin der Held vieler Märchen und Sagen, prahlte er, „und ich gelte als Vogel der Weisheit. Ich bin der Pionier der Luftfahrt, ich bin der grösste Kartograph. Und was das Wichtigste ist, alle Wissenschaftler und Gelehrten, Ingenieure und Mathematiker wissen, dass meine Fluglinie die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist. – Zwischen beliebigen zwei Punkten, fügte er stolz hinzu. „Oh, zweifellos zwischen allen Punkten, sagte der Fuchs höflich. „Und vielen Dank für das Opfer, das du gebracht, indem du mir den Löwenanteil gegeben hast. Gesättigt lief er davon, während der hungrige Rabe einsam und verlassen auf dem Baum zurückblieb. Moral: Was wir heute wissen, wussten schon Aesop und La Fontaine: Wenn du dich selbst lobst, klingt erst richtig schön. Inhalt bei Martin Luther: Inhalt bei G.E. Lessing: Inhalt bei James Thurber: Zusammenfassung Wirklichkeitsbezug und Aussageabsicht der Fabel: • Eine echte Fabel ist immer auf eine konkrete Situation bezogen. • Der Sinn der Fabel besteht darin, eine bestimmte Situation zu verdeutlichen und zu kritisieren. • Menschliche Eigenarten, Denkweisen, zwischenmenschliche Beziehungen, soziale Ungerechtigkeiten und bestimmte Zeitmerkmale sollen schlaglichtartig und pointiert (witzig) gezeigt werden. 4 5. Versteckte Wahrheit Was sagte Martin Luther im folgenden Text: Martin Luther: Über die Fabel Alle Welt hasset die Wahrheit, wenn sie einen trifft. Darum haben weise hohe Leute die Fabeln erdichtet und lassen ein Tier mit dem anderen reden, als wollten sie sagen: Wohlan, es will niemand die Wahrheit hören und man kann doch der Wahrheit nicht entbehren, so wollen wir sie schmücken und unter einer lustigen Lügenfarbe und lieblichen Fabeln kleiden; und weil man sie nicht will hören aus Menschenmund, dass man sie doch höre aus Tier- und Bestienmund. So geschiehts denn, wenn man die Fabeln liest, dass ein Tier dem andern, ein Wolf dem andern die Wahrheit sagt, die ihm sonst kein Prediger, Freund noch Feind sagen dürfte. 6. Bild- und Sachteil Betrachte noch einmal die Beispiele 3a)-c). Diese enden jeweils unterschiedlich. 3b) und c) haben am Schluss einen. In der Fabel wird die Wirklichkeit (aus unterschiedlichen Gründen, wie wir erarbeitet haben) ins „Fabelhafte übertragen. Daher besteht die Fabel aus einem bildlichen und einem sachlichen Teil. Der Sachteil muss von den Leserinnen/den Lesern entschlüsselt werden. Oft wird dieser aber auch durch einen Merk- oder Lehrsatz, den man der Fabel im Zuge der Überlieferung vor- oder nachgestellt hat, ersetzt. Dieser mit „Lehre, „Moral, „Merke oder ähnlich eingeleitete Spruch, kann helfen, die Aussageabsicht der Fabel leichter zu verstehen. Allerdings nimmt dieser Satz einen wesentlichen Reiz der Fabel: nämlich den der eigenen Überlegung und Erschliessung des Sinns. Eigentlich sollte ein Merksatz überflüssig sein, da eine Fabel so beschaffen sein muss, dass die enthaltene Lehre mühelos entdeckt werden kann. 7. Figuren in der Fabel Zum Figureninventar der Fabel gehören (neben Pflanzen) vor allem die Tiere. Typische und häufig auftretende Fabeltiere sind der Löwe, der Fuchs, der Wolf, der Esel, der Hase und der Rabe. Seltener erscheint das Lamm, die Maus, der Frosch, der Igel, der Ochse oder die Schlange. Normalerweise finden sich in der Fabel Tiere aus der unmittelbaren Umgebung des Menschen, also solche, die dem Menschen aus ihrer typischen natürlichen Eigenart vertraut sind. Beispiel 4a: Aesop: Das Pferd und der Esel Ein Bauer trieb ein Pferd und einen Esel, beide gleichmässig beladen, zu Markte. Als sie schon eine gute Strecke vorwärts gegangen waren fühlte der Esel seine Kräfte abnehmen. „Ach, bat er das Pferd kläglich, „du bist viel grösser und stärker als ich, und doch hast du nicht schwerer zu tragen, nimm mir einen Teil meiner Last ab, sonst erliege ich. Hartherzig schlug ihm das Pferd seine Bitte ab: „Ich habe selbst meinen Teil und daran genug zu tragen. Keuchend schleppte sich der Esel weiter, bis er endlich erschöpft zusammenstürzte. Vergeblich hieb der Herr auf ihn ein, er war tot. Es blieb nun nichts weiter übrig als die ganze Last des Esels dem Pferde aufzupacken, und um doch etwas von dem Esel zu retten, zog ihm der Besitzer das Fell ab und legte auch dieses noch dem Pferde oben auf. Zu spät bereute dieses seine Hartherzigkeit. „Mit leichter Mühe, so klagte es, „hätte ich dem Esel einen kleinen Teil seiner Last abnehmen und ihn vom Tode retten können. Jetzt muss ich seine ganze Last und dazu noch seine Haut tragen. Hilf zeitig, wo du helfen kannst. Hilf dem Nachbarn löschen, ehe das Feuer auch dein Dach ergreift. Beispiel 4b: Aesop: Der Esel und das Pferd Ein Esel, der nach der grössten Anstrengung nicht einmal Streu genug erhielt, um seinen Hunger zu stillen und unter seiner schweren Bürde kaum noch fortkriechen konnte, hielt ein schönes, prächtig geschmücktes Pferd für glücklich, weil es so gut und im Überfluss gefüttert würde. Ach, wie sehr wünschte er mit diesem Tiere tauschen zu können. Aber nach einigen Monaten erblickte er dasselbe Pferd lahm und abgezehrt an einem Karren. „Ist dies Zauberei?, fragte er. „Beinahe, antwortete traurig das Pferd, „eine Kugel traf mich, mein Herr stürzte mit mir und verkaufte mich zum Dank um ein Spottgeld; lahm und kraftlos, wie ich jetzt bin, wirst du gewiss nicht mehr mich beneiden und mit mir tauschen wollen. Wie oft das grösste Glück zerstört ein Augenblick! Beispiel 4c: Aesop: Der Fuchs und der Esel Ein Esel warf einmal eine Löwenhaut um sich her, lustwandelte mit stolzen Schritten im Wald und schrie sein „Ia, ia aus allen Kräften, um die andern Tiere in Schrecken zu setzen. Alle erschraken, nur der Fuchs nicht. Dieser trat keck vor ihn hin und höhnte ihn: „Mein Lieber, auch ich würde vor dir erschrecken, wenn ich dich nicht an deinem Ia erkannt hätte. Ein Esel bist und bleibst du! Mancher Einfältige in prächtigem Gewande gälte mehr, wenn er schwiege, denn: Mit Schweigen sich niemand verrät. Beispiel 5a: La Fontaine: Der Hase und die Frösche Ein Hase sass in seinem Lager und grübelte. „Wer furchtsam ist, dachte er, „ist eigentlich unglücklich dran! Nichts kann er in Frieden geniessen, niemals hat er ein ungestörtes Vergnügen, immer gibt es neue Aufregung für ihn. Ich schlafe vor Angst schon mit offenen Augen. Das muss anders werden, sagt mir der Verstand. Aber wie? So überlegte er. Dabei war er aber immerwährend auf der Hut, denn er war nun einmal misstrauisch und ängstlich. Ein Geräusch, ein Schatten, ein Nichts – alles erschreckte ihn schon. Plötzlich hörte er ein leichtes Säuseln. Sofort sprang er auf und rannte davon. Er hetzte bis an das Ufer eines Teiches. Da sprangen die aufgescheuchten Frösche alle ins Wasser. „Oh, sagte der Hase, „sie fürchten sich vor mir! Da gibt es also Tiere, die vor mir, dem Hasen, zittern! Was bin ich für ein Held! Da kann einer noch so feige sein, er findet immer einen, der ein noch grösserer Feigling ist. Typische Eigenschaften von Hase und Esel in der Fabel: Die typischen Eigenschaften, die den Tieren in der Fabel zugeschrieben werden, findet man auch in Sprichwörtern, Redensarten und in der Heraldik (Wappenkunde) wieder. Mit den biologischen Eigenarten der Tiere brauchen sie jedoch nicht übereinzustimmen, denn die Fabeltiere sind gedankliche Schöpfungen des Menschen, und die Eigenschaften werden den Tieren vom Menschen zugeschrieben. Durch die Übertragung menschlicher Eigenschaften auf die Fabeltiere (Personifizierung) werden diese in den menschlichen Bereich integriert. Sie sind in diesem Sinne keine Tiere mehr, sondern stehen stellvertretend für einen bestimmten Menschentyp. 8. Der Aufbau der typischen Fabel Die Fabel besitzt in ihrer ursprünglichen Form einen dreiteiligen Aufbau: 1. Ausgangssituation 2. Konfliktsituation 2.1 Aktion (actio) oder Rede 2.2 Reaktion (reactio) oder Gegenrede 3. Lösung Dieses Schema muss in Zusammenhang mit der didaktischen Absicht der Fabel gesehen werden. Dem Hörer/Leser wird zunächst in der die zum Fabelverständnis notwendige Information gegeben: Die Handelnden werden kurz vorgestellt und es wird auf die spezielle Konfliktsituation hingelenkt. Eine weitergehende Beschreibung gibt es nur, wenn diese zum Verständnis unbedingt erforderlich ist. Die ergibt sich in der Regel aus der Gegenüberstellung zweier konträrer (gegenteiliger) Verhaltensweisen. Die Handlung, in der der Konflikt verwirklicht wird, ist dabei so gestaltet, dass eine Verhaltensweise als die unterlegene erkennbar wird. In Rede und Gegenrede, Handlung und Gegenhandlung läuft ein dramatisches Geschehen ab, das sich auf einen Höhepunkt zuspitzt und in einem überraschenden Moment, einer Pointe, gipfelt. Am Ende der Fabel, der, wird das Ergebnis berichtet. Die Absicht des Dichters ergibt sich aus der Deutung des Fabelgleichnisses. Nur in wenigen Fällen wird der Fabel als viertes Glied ein Lehrsatz hinzugefügt, das von der eigentlichen Erzählung getrennt wird. Aufgaben: • Untersuche das Aufbauprinzip am Beispiel der Fabel von Fuchs und Rabe in der Version G. E. Lessings (Beispiel 3b). Markiere Situation, Aktion, Reaktion und Lösung mit unterschiedlichen Farben. • Notiere in eigenen Worten den Inhalt der drei folgenden Teile: Situation: Aktion: Reaktion: „Situation: Der Rabe sitzt mit seinem Stück Käse auf einem hohen Baum. Der Fuchs naht voll Gier nach dem Käse. Mit Gewalt lässt sich nichts erreichen. Aktion: Der Fuchs versucht es mit List. Der Rabe hat im Gegensatz zu den bunten Singvögeln ein schwarzes und nichtglänzendes Gefieder. Im Gegensatz zum Adler, dem König der Vögel, hat er einen unscheinbaren Kopf. Wenn einer heiser ist und nicht singen kann, sagen wir: Er krächzt wir ein Rabe. Der Fuchs sagt das Gegenteil. Er belügt den Raben; er schmeichelt ihm aus Gewinnsucht. Reaktion: Der eitle Rabe will sich zeigen und seine Stimme erklingen lassen. Er ist törricht. Durch die Schmeichelei des Fuchses betört, denkt er nicht daran, dass er den Käse verliert, wenn er den Schnabel öffnet. Ergebnis: Der Fuchs hat sein Ziel mit List erreicht und frisst den Käse auf. Erst jetzt merkt der Rabe, dass er betrogen wurde und für seine Eitelkeit bezahlen muss. Das aufgezeigte Grundschema ist variabel (veränderbar). Die Konfliktsituation kann aus einmaliger Rede und Gegenrede bestehen, sie kann auch durch doppelten oder mehrfachen Wechsel ausgedehnt sein. Andererseits kann eine Fabel so reduziert sein, dass die Lösung des Konflikts bereits in actio und reactio zum Ausdruck kommt. Beispiel: Beispiel 6: H. Arntzen: Wolf und Lamm Der Wolf kam zum Bach. Da entsprang das Lamm. „Bleib nur, du störst mich nicht!, rief der Wolf. „Danke, rief das Lamm zurück, „ich habe im Aesop gelesen. Hier wird deutlich, dass actio und reactio, bzw. Rede und Gegenrede, den Kern der Fabel bilden und das eigentlich bestimmende Moment der Fabel darstellen. Ausgewählte Fabeln von Aesop Das Kamel Als die Menschen das Kamel zum ersten Male sahen, erstaunten sie über die Grösse des Tieres und flohen bestürzt. Bald merkten sie aber, dass es nicht so furchtbar sei, wie sie es erwartet hatten, sondern dass man es leicht bändigen könne. Sie fingen es mit geringer Mühe ein und verwendeten es zu ihrem Nutzen. Ganz geduldig liess es alles mit sich geschehen und wich jeder Gefahr aus. Nun fingen die Menschen an, weil es sich trotz seiner Grösse und Stärke nie widerspenstig zeigte, sondern sich jede Kränkung ruhig gefallen liess, es zu verachten, zäumten es auf und liessen es von ihren Kindern leiten. Lass dich nicht von jedem gefährlich scheinenden abschrecken. Das Lamm und der Wolf Ein Lämmchen löschte an einem Bache seinen Durst. Fern von ihm, aber näher der Quelle, tat ein Wolf das gleiche. Kaum erblickte er das Lämmchen so schrie er: „Warum trübst du mir das Wasser, das ich trinken will? „Wie wäre das möglich, erwiderte schüchtern das Lämmchen, „ich stehe hier unten und du so weit oben. Das Wasser fliesst ja von dir zu mir; glaube mir, es kam mir nie in den Sinn, dir etwas Böses zu tun! „Ei, sieh doch! Du machst es gerade, wie dein Vater vor sechs Monaten; ich erinnere mich noch sehr wohl, dass auch du dabei warst, aber glücklich entkamst, als ich ihm für sein Schmähen das Fell abzog! „Ach, Herr!, flehte das zitternde Lämmchen, „ich bin ja erst vier Wochen alt und kannte meinen Vater gar nicht, so lange ist er schon tot; wie soll ich denn für ihn büssen. „Du Unverschämter!, so endigt der Wolf mit erheuchelter Wut, indem er die Zähne fletschte. „Tot oder nicht tot, weiss ich doch, dass euer ganzes Geschlecht mich hasst, und dafür muss ich mich rächen. Ohne weitere Umstände zu machen zerriss er das Lämmchen und verschlang es. Das Gewissen regt sich selbst bei dem grössten Bösewichte; er sucht doch nach Vorwand, um dasselbe damit bei Begehung seiner Schlechtigkeiten zu beschwichtigen. Ausgewählte Fabeln von La Fontaine Der Fuchs und der Storch Eines Tages hatte der Fuchs den Storch zum Mittagessen eingeladen. Es gab nur eine Suppe, die der Fuchs seinem Gast auf einem Teller vorsetzte. Von dem flachen Teller aber konnte der Storch mit seinem langen Schnabel nichts aufnehmen. Der listige Fuchs indessen schlappte alles in einem Augenblick weg. Der Storch sann auf Rache. Nach einiger Zeit lud er seinerseits den Fuchs zum Essen ein. Der immer hungrige Fuchs sagte freudig zu. Gierig stellte er sich zur abgemachten Stunde ein. Lieblich stieg ihm der Duft des Bratens in die Nase. Der Storch hatte das Fleisch aber in kleine Stücke geschnitten und brachte es auf den Tisch in einem Gefäss mit langem Halse und enger Öffnung. Er selbst konnte mit seinem Schnabel leicht hineinlangen. Aber die Schnauze des Fuchses passte nicht hinein. Er musste hungrig wieder abziehen. Beschämt, mit eingezogenem Schwanz und hängenden Ohren, schlich er nach Hause. Wer betrügt, muss sich auf Strafe gefasst machen. Der Löwe und die Maus Gerade zwischen den Tatzen eines Löwen kam eine leichtsinnige Maus aus der Erde. Der König der Tiere aber zeigte sich wahrhaft königlich und schenkte ihr das Leben. Diese Güte wurde später von der Maus belohnt – so unwahrscheinlich es zunächst klingt. Eines Tages fing sich der Löwe in einem Netz, das als Falle aufgestellt war. Er brüllte schrecklich in seinem Zorn – aber das Netz hielt ihn fest. Da kam die Maus herbeigelaufen und zernagte einige Maschen, so dass sich das ganze Netz auseinander zog und der Löwe frei davongehen konnte. Ausgewählte Fabeln von G. E. Lessing Das Ross und der Stier Auf einem feurigen Rosse flog stolz ein dreister Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Ross zu: „Schande! Von einem Knaben liess ich mich nicht regieren! „Aber ich, versetzte das Ross. „Denn was für Ehre könnte es mir bringen, einen Knaben abzuwerfen? Der Affe und der Fuchs „Nenne mir ein so geschicktes Tier, dem ich nicht nachahmen könnte!, so prahlte der Affe gegen den Fuchs. Der Fuchs aber erwiderte: „Und du, nenne mir ein so geringschätziges Tier, dem es einfallen könnte, dir nachzuahmen. Schriftsteller meiner Nation! – Muss ich mich noch deutlicher erklären? Der Esel und der Wolf Ein Esel begegnete einem hungrigen Wolfe. „Habe Mitleid mit mir, sagte der zitternde Esel, „ich bin ein armes krankes Tier; sieh nur, was für einen Dorn ich mir in den Fuss getreten habe! „Wahrhaftig, du dauerst mich, versetzte der Wolf. „Und ich finde mich in meinem Gewissen verbunden, dich von deinen Schmerzen zu befreien. Kaum war das Wort gesagt, so ward der Esel zerrissen. Der Fuchs Ein verfolgter Fuchs rettete sich auf eine Mauer. Um auf der andern Seite gut herabzukommen, ergriff er einen nahen Dornstrauch. Er liess sich auch glücklich daran nieder, nur dass ihn die Dornen schmerzlich verwundeten. „Elende Helfer, rief der Fuchs, „die nicht helfen können, ohne zugleich zu schaden! Der Geizige „Ich Unglücklicher!, klagte ein Geizhals seinem Nachbar. „Man hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese Nacht entwendet und einen verdammten Stein an dessen Stelle gelegt. „Du würdest, antwortete ihm der Nachbar, „deinen Schatz doch nicht genutzt haben. Bilde dir also ein, der Stein sei dein Schatz; und du bist nichts ärmer. „Wäre ich schon nichts ärmer, erwiderte der Geizhals; „ist ein andrer nicht um so viel reicher? Ein andrer um so viel reicher! Ich möchte rasend werden.