Arbeitsblatt: Kurzgeschichte: Das Brot (Borchert)
Material-Details
Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert mit Fragen zur Besprechung
Deutsch
Leseförderung / Literatur
9. Schuljahr
2 Seiten
Statistik
9022
3990
113
16.08.2007
Autor/in
Ramona Thoma
Land: Schweiz
Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
Wolfgang Borchert: Das Brot (1946) Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestossen. Sie horchte nach der Küche. Es war still. Es war zu still, und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer. Das war es, was es so besonders still gemacht hatte: sein Atem fehlte. Sie stand auf und tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche. In der Küche trafen sie sich. Die Uhr war halb drei. Sie sah etwas Weisses am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche. Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel. Wenn sie abends zu Bett gingen, machte sie immer das Tischtuch sauber. Jeden Abend. Aber nun lagen Krümel auf dem Tuch. Und das Messer lag da. Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hoch kroch. Und sie sah von dem Teller weg. Ich dachte, hier wäre was, sagte er und sah in der Küche umher. Ich habe auch was gehört, antwortete sie, und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus. Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt. Du hättest Schuhe anziehen sollen. So barfuss auf den kalten Fliesen. Du erkältest dich noch. Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreissig Jahre verheiratet waren. Ich dachte, hier wäre was, sagte er noch einmal und sah wieder so sinnlos von einer Ecke in die andere, ich hörte hier was. Da dachte ich, hier wäre was. Ich habe auch was gehört. Aber es war wohl nichts. Sie stellte den Teller vom Tisch und schnappte die Krümel von der Decke. Nein, es war wohl nichts, echote er unsicher. Sie kam ihm zu Hilfe: Komm man. Das war wohl draussen. Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch. Auf den kalten Fliesen. Er sah zum Fenster hin. Ja, das muss wohl draussen gewesen sein. Ich dachte, es wäre hier. Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen. Komm man, sagte sie und machte das Licht aus, das war wohl draussen. Die Dachrinne schlägt immer bei Wind gegen die Wand. Es war sicher die Dachrinne. Bei Wind klappert sie immer. Sie tappten sich beide über den dunklen Korridor zum Schlafzimmer. Ihre nackten Füsse platschten auf den Fussboden. Wind ist ja, meinte er. Wind war schon die ganze Nacht. Als sie im Bett lagen, sagte sie: Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne. Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne. Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre. Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log. Es ist kalt, sagte sie und gähnte leise, ich krieche unter die Decke. Gute Nacht. Nacht, antwortete er und noch: ja, kalt ist es schon ganz schön. Dann war es still. Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmässig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmässig, dass sie davon langsam einschlief. Als er am nächsten Abend nach Hause kam, schob sie ihm vier Scheiben Brot hin. Sonst hatte er immer nur drei essen können. Du kannst ruhig vier essen, sagte sie und ging von der Lampe weg. Ich kann dieses Brot nicht so recht vertragen. Iss du man eine mehr. Ich vertrage es nicht so gut. Sie sah, wie er sich tief über den Teller beugte. Er sah nicht auf. In diesem Augenblick tat er ihr leid. Du kannst doch nicht nur zwei Scheiben essen, sagte er auf seinen Teller. Doch. Abends vertrag ich das Brot nicht gut. Iss man. Iss man. Erst nach einer Weile setzte sie sich unter die Lampe an den Tisch. Kurzgeschichten – Wolfgang Borchert: Das Brot (1946) Der Schriftsteller Wolfgang Borchert (* 20. Mai 1921 in Hamburg; † 20. November 1947 in Basel) war ein deutscher Schriftsteller. Er ist einer der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur, jener kurzlebigen Literaturepoche nach dem Zweiten Weltkrieg, die vom Zusammenbruch der Städte und dem Trauma des Krieges geprägt war. Schon im Alter von 15 Jahren begann er, Gedichte zu schreiben, von denen einige später im Hamburger Anzeiger veröffentlicht wurden. Auf Verlangen seiner Eltern fing er 1939 eine Buchhändlerlehre an, nahm aber nebenbei Schauspielunterricht. 1940 brach er seine Buchhändlerlehre ab, nachdem er die Schauspiel-Abschlussprüfung bestanden hatte. Im März 1941 wurde er von der Landesbühne Osthannover engagiert, musste sein Engagement jedoch bereits im Juni wieder beenden, da er zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Noch im selben Jahr wurde er als Soldat in Russland verwundet. 1947 starb er an den Folgen seiner Kriegsverletzungen. Textverständnis Weshalb erwachte die Frau? Beide Personen sagen, sie hätten etwas gehört. Wer hat was gehört? Was musste die Frau in der Küche entdecken? Was hörte die Frau, als sie und der Mann wieder im Bett lagen? Was änderte sich nach dem „Vorfall in der Nacht? Die Geschichte spielt in der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der Nahrung knapp war. Die Rationierung von Lebensmitteln bildet den historischen Hintergrund der Geschichte. Inwiefern verändert diese Information deine Einstellung gegenüber den zwei Figuren? Liebt die Frau den Mann? Begründe deine Meinung.